27.1.05

Industrie im grünen Mainstream

Herbert Krejci, der ehemalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung - zu jener Zeit ein entschiedener Gegner der Grünen und als Befürworter der Kraftwerke Zwentendorf und Hainburg äußerst kritisch zur Umweltbewegung, hat sich im Wirtschaftsblatt als ökologisch gewendet präsentiert: "Meine These ist: Ein moderne Industrie muss grün sein. Grün ist nichts Böses. Es kommt darauf an, ökologisch zu denken und nicht zu sagen: Profit ist alles und Umwelt nichts. In den Unternehmen wächst eine neue Generation heran, für die Umweltbewusstsein nicht eine unangenehme Pflichtübung ist, sondern ihrer Überzeugung entspricht. Ausserdem gibt es heute ein ehrliches Bemühen, kritische Zusammenstösse zu vermeiden."
Schon im Juni hatte Krejci in einem Standard-Interview die Grünen wegen ihrer pro-europäischen Haltung gelobt: "Die beeindrucken mich. Die sind sicher zur potenziellen Regierungspartei herangereift - aus einer losen Protestformation heraus. Sie haben an Reife und Kompetenz zugenommen. Was mich als Europäer beeindruckt, ist, dass die Grünen heute die eigentliche Europapartei sind."

26.1.05

Was die Wehrdienst-Reform bewirkt

Unter dem Titel "Militär ohne richtige Soldaten" habe ich im Standard analysiert, wohin die Reformen im Bundesheer führen. Conclusio: "Die überstürzte Wehrdienstzeitverkürzung bereitet den Weg für ein Berufsheer"
Der Sachverhalt: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel drängt: Grundsätzliche Maßnahmen wie die Verkürzung des Wehrdienstes müsse man "rasch umsetzen", sagte er nach dem Ministerrat am Dienstag. Koalitionspartner Hubert Gorbach blieb da nur mehr der Hinweis auf die Bundesheer-Reformkommission, die empfohlen hatte, den Wehrdienst frühstens 2007 zu verkürzen. Und die Versicherung, dass die FPÖ ohnehin "gesprächsbereit" sei: "Wenn das früher möglich ist, und der Verteidigungsminister das in seinem Bereich so sieht und macht, dann wird man darüber reden."
Der hinhaltende Widerstand der FPÖ gegen eine rasche Verkürzung des Wehrdienstes folgt dem überparteilichen Konsens in der Kommission: Diese hatte festgehalten, dass die Dienstdauer im Bundesheer frühestens dann von acht auf sechs Monate verkürzt werden könnte, wenn kein Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Schengen-Grenze mehr nötig ist. Mit einem Beitritt von Ungarn und der Slowakei zum Schengen- Abkommen wird aber frühestens 2007 gerechnet.
Deutlicher als von Gorbach wird die vorverlegte Verkürzung des Wehrdienstes von FPÖ-Klubchef Herbert Scheibner abgelehnt: "Ich warne davor, in der Sicherheitspolitik Wahlzuckerl zu verteilen beziehungsweise parteipolitisch motivierte Personalpolitik zu betreiben", sagte Scheibner, der selber bis vor zwei Jahren Verteidigungsminister war.
Der Hinweis auf die "parteipolitisch motivierte Personalpolitik" bezieht sich darauf, dass Scheibner ein halbes Jahr vor seinem Abgang dem Bundesheer eine neue Spitzengliederung verschafft hat: Der Generalstab wurde neu strukturiert, ebenso die Organisation des Ministeriums und schließlich die Streitkräfte.
Derzeit gibt es ein Kommando Landstreitkräfte (Generalleutnant Edmund Entacher) mit Sitz in Salzburg, ein Kommando Internationale Einsätze (Generalmajor Günter Höfler) in Graz und ein Kommando Luftstreitkräfte (Generalmajor Erich Wolf) in Langenlebarn, zudem Kommanden für Spezialeinsatzkräfte, Einsatzunterstützung und Führungsunterstützung.
Diese Struktur wird – unter Berufung auf die Erkenntnisse der Bundesheer-Reformkommission – geändert werden. Wobei Verteidigungsminister Günther Platter die Möglichkeit bekommt, alle Kommandantenposten neu auszuschreiben, bei denen sich die Zuständigkeiten wesentlich ändern. So könnten die vom FPÖ-Minister Scheibner berufenen Führungskräfte (darunter der der SPÖ zugerechnete Kommandant der Landstreitkräfte) abgelöst werden.
Aus drei mach zwei
Formell würde das mit einer Straffung der Heeresstruktur begründet: Die Kommanden für Land- und Luftstreitkräfte und Internationale Einsätze würden zu einem einzigen Kommando Einsatzführung zusammengelegt, bei dem die gesamte Verantwortung für alle Einsätze – von jenem an der burgenländischen Grenze über Katastrophenhilfe im In- und Ausland bis zu den Blauhelmen am Golan – läge.
Ausbildung und Nachschub kämen in die Verantwortung eines aufgewerteten (und damit ebenfalls neu auszuschreibenden) Kommando Einsatzunterstützung. Gleichzeitig mit der Verkleinerung der Kommanden käme es auch zu einer Verkleinerung der Truppe: Etwa jeder dritte Verband soll gestrichen werden, von den drei Jägerbrigaden blieben nur zwei, von drei Pionierbataillonen ebenfalls nur zwei. Rund 40 Kasernen könnten so eingespart und verkauft werden – St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) verlangte am Dienstag vorsorglich eine Standortgarantie für die Kopal-Kaserne.

Ist das eigentlich noch die letzte Bundesheerreform, über die da jetzt diskutiert wird - oder schon die nächste? Man tut sich schwer, bei dem Tempo mitzuhalten, in dem in den letzten Jahren an den Streitkräften herumreformiert wurde. Zuletzt gab es alle fünf Jahre eine Umgliederung, die letzte Neuaufstellung - mit ganz neuer Spitzengliederung - erfolgte im Sommer 2002.
Das sollte für dieses Jahrzehnt reichen. Als bald darauf eine Bundesheer-Reformkommission angekündigt wurde, ging es noch um die Perspektive 2010, aber das ist dem Bundeskanzler zu langsam. Er will den Wehrdienst im Wahljahr verkürzen, also wird im Bundesheer Druck gemacht: Die Dienstzeit für Grundwehrdiener muss - gegen jeden Rat der Experten und die ausdrückliche Empfehlung der Kommission - bereits 2006 verkürzt werden; also zu einer Zeit, wo noch tausende Soldaten für den Dienst an der Grenze gebraucht werden.
Eine auf sechs Monate verkürzte Dienstzeit verlangt aber nach einer völligen Umplanung aller Abläufe im Bundesheer: Damit zu jeder Zeit zumindest einige ausgebildete Rekruten zur Verfügung stehen, muss es mehr Einrückungstermine geben. Die Ausbildungszeit wird im Verhältnis zur eigentlichen Dienstzeit länger, der Ausbildungserfolg geringer: Man kann dann einfach nicht mehr die - bei einem Einsatz überlebensnotwendigen - soldatischen Kenntnisse einüben.
Schon gar nicht, wenn die Soldaten neben ihrer eigentlichen Aufgabe für allerhand Assistenzdienste herangezogen werden: Das Dauerprovisorium der Grenzüberwachung dauert ja an, daneben werden Soldaten aber auch für ganz andere Hilfsarbeiten abkommandiert - etwa, um die Skipisten von Kitzbühel zu präparieren.
Das Bundesheer wird immer weniger militärisch.
Dass der einfache Soldat am Schluss der sechs Monate dann nicht voll feldverwendungsfähig ist, wird hinter vorgehaltener Hand zugegeben - und mit dem Hinweis argumentiert, dass man Rekruten ohnehin nicht in gefährliche Situationen bringen will.
Die Eile, mit der diese Reformschritte vorgezogen werden, hat zwei handfeste politische Gründe: Zum einen kann man die Berufsmilitärs mit der Erarbeitung von immer neuen Konzepten, mit Kommissions-, Planungsstabs- und Arbeitsgruppensitzungen beschäftigen - soll keiner sagen, dass sich beim Bundesheer nichts täte, dass nicht ohnehin mit Volldampf gearbeitet und reformiert werde!
Zum anderen gibt jede der Reformen die Gelegenheit, neue Posten auszuschreiben, alte oder unangepasste Funktionsträger zu entfernen und das Bundesheer auch personell nach eigenen Gutdünken umzugestalten. Dieser Versuchung hat noch kein Minister widerstehen können.
Dass das Heer dabei ständig schrumpft, dass seine Einsatzmöglichkeiten ständig sinken und vor allem die Basis schmäler wird, aus der man neue Soldaten für die unteren Führungsfunktionen rekrutieren könnte, wird dabei in Kauf genommen: Wer wird sich noch für fünf oder auch nur für zwei Jahre für eine Unteroffiziersfunktion verpflichten, wenn die nächste Kaserne so weit weg ist, dass man die Familie (und wie auf dem Land derzeit oft üblich: den Nebenerwerb-Bauernhof oder Familienbetrieb) kaum noch sehen kann? Womit will man neue Milizsoldaten anlocken, die einen beachtlichen Teil der im Ausland eingesetzten Truppe bilden?
Die Antwort, dass ein kürzerer Wehrdienst schon per se als attraktiv gilt, wird von der Praxis widerlegt werden: Das Bundesheer wird künftig aus einer weiterhin zur Überalterung tendierenden Gruppe von (beamteten) Berufssoldaten und einer jungen Truppe von Rekruten, die allerdings nur mehr für Hilfsdienste heranziehbar sind, bestehen.
Die nächste Reform kommt bestimmt - und die Führungskräfte, die in die neue Streitkräfteplanung eingesetzt werden, werden damit leben müssen, dass die Wehrpflichtigenarmee nicht mehr funktioniert. Dann kann man gleich dazu übergehen, ein Berufsheer zu planen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2005)

24.1.05

Eine Ablöse, die nichts verbessert

Die FPÖ kann nicht vermitteln, dass sie zu kontinuierlicher Arbeit fähig ist - Ein Kommentar von Conrad Seidl

Betrachtet man es genau, ist der nun abgelöste Sozialminister Herbert Haupt ein schlechter Beleg für die Behauptung, dass die FPÖ dauernd ihre Spitzenleute austauschen müsse. Viele seiner Amtsvorgänger - nicht nur die glücklose Freiheitliche Elisabeth Sickl, sondern auch die SPÖ-Minister Walter Geppert und Franz Hums, Lore Hostasch und Gerhard Weißenberg - waren kürzer im Amt als Haupt, Josef Hesoun etwa gleich lang. Auch hat Haupt die Sozialgesetzgebung mehr geprägt als die meisten seiner Vorgänger, wenn auch das Ergebnis umstritten war und noch lange umstritten bleiben wird.
Aber man hat halt den Eindruck, dass bei der FPÖ keine Kontinuität herrscht und ruhiges, konsequentes Arbeiten nicht möglich wäre.
Noch schlimmer für den kleinen Koalitionspartner: Der FPÖ gelingt es nicht, bei Neubesetzungen zu signalisieren, dass es jetzt irgendwie besser würde. Ursula Haubner wird wohl eine ganz gute Sozialpolitikerin sein (wenigstens hat sie ja Erfahrung). So nebenbei wurde auch registriert, dass Karin Miklautsch ihre Sache als Justizministerin nicht gar so schlecht macht.
Na und? Das Allerschlimmste für eine Partei ist ja, dass es niemanden wirklich interessiert, wen sie an Schlüsselstellen setzt oder was die Herrschaften dort im Einzelnen machen. Erfolgreiche Arbeit traut man den freiheitlichen Vertretern in öffentlichen Funktionen ohnehin nicht mehr zu. Und dieses Misstrauen betrifft nicht nur die politische Konkurrenz (bei der fassungsloses Staunen die wütenden Proteste abgelöst hat). Es hat auch die verbliebene freiheitliche Wählerschaft und die eigenen Funktionäre, inzwischen schon fast identische Gruppen, erfasst.
In der FPÖ ist folglich eine Sinnkrise ausgebrochen: Längst fragen sich gerade die getreuesten Freiheitlichen, wofür ihre Partei eigentlich noch gut sein soll. Daher ist ja auch in den letzten Tagen versucht worden, irgendwie an die alten Themen anzuknüpfen, mit denen die FPÖ in den Achtziger- und Neunzigerjahren zu einer möglicherweise auch für die Beteiligten selbst beängstigenden Größe angewachsen ist. Die Klügeren in der Partei fragten schon damals bang, ob eine zur zweitstärksten Partei gewordene FPÖ die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen könnte. Sie konnte es nicht.
Die Sozialpolitik, mit der sie sich gerne als legitime Nachfolgerin der SPÖ profilieren wollte - immerhin hatte die FPÖ 1999 die Mehrheit der Arbeiter für sich gewinnen können -, erwies sich als längst nicht attraktiv genug, um Wähler zu binden. Das hatte weniger mit der mangelnden Attraktivität des zuständigen Sozialministers zu tun, sondern vor allem mit dem Wechsel der Perspektive: Hatte die FPÖ unter Haider vor allem Forderungen - etwa für ein faireres Sozialsystem - erhoben, so musste sie in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung versuchen, das System wirklich fairer zu machen.
Selbst wenn ihr das gelungen sein sollte (was erst spätere Erfahrungen zeigen können): Beliebt konnte sie sich nicht machen. Also zurück zum Thema Sicherheit, mit dem sie seinerzeit punktete. Genau genommen: Sie hat mit der Behauptung von Unsicherheit gepunktet. Und jetzt, wo die Unsicherheit tatsächlich eingetreten ist, traut der FPÖ keiner mehr zu, etwas Sinnvolles dagegen zu unternehmen. Denn sie sitzt ja in jener Regierung, unter der die Kriminalität - und noch mehr die daraus resultierende Verunsicherung - gestiegen ist.
Was die FPÖ jetzt brauchen würde, wäre Vertrauen, dass sie es schon richtig machen wird. Dass sie Lösungen anzubieten hat, die über populistische Parolen - Gentests für Asylwerber - hinausgehen. Woher solches Vertrauen aber kommen soll? Am ehesten wäre es noch durch ein geschlossenes Bekenntnis zur gemeinsamen Arbeit wieder zu erlangen. Das immerhin hat beim Abgang von Herbert Haupt geklappt: Seine Partei verabschiedet ihn mit Lob und Dank. Die, die bleiben, müssen sich beides noch verdienen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.1.2005)

18.1.05

Verlorene Deutungsmacht

Mein Kommentar im Standard zur Austrittswelle, die die Katholische Kirche Österreihs 2004 erlebt hat: Sex-Skandale haben Kirchenaustritte ausgelöst, die innerlich längst vollzogen waren

Es ist noch nicht gar so lange her, da haben sich die Österreicher vor dem Teufel, seinen finsteren Machenschaften und Verführungen gefürchtet - sowie vor ewiger Verdammnis, wenn sie vom rechten Weg abkommend in die Hölle kämen, statt nach dem Tod im Jenseits ein besseres Leben im Himmel genießen zu können.

Teufel? Verdammnis? Himmel und Hölle? Es fällt schwer, heute solche Begriffe überhaupt ernst zu nehmen. Oder sich gar den Herrgott vorzustellen, wie er sitzt, "zu richten die Lebenden und die Toten". Allenfalls als kirchliches Kunstwerk ist das anschaulich - aber hat noch jemand eine Vorstellung davon, was eigentlich "Sünde" ist, was eine Strafe jenseits des Strafrechts sein könnte?

Nein, darüber gebe es keine Erhebungen, sagen Marktforscher, die sonst jedem Trend nachzuspüren bereit sind. - Gott ist kein Thema, die Strafe dafür, dass man von ihm abfällt, schon gar nicht.

Sonst würden auch nicht so viele Menschen die Kirche verlassen.

Freilich: Die katholische Kirche hat es den Österreichern auch besonders leicht gemacht, eine Ausrede zu finden, ihr den Rücken zu kehren. Da war erst die jahrzehntelange Führung durch Kardinal Franz König, der für Verständnis und Verständigung sorgte - dabei aber vielfach gründlich missverstanden wurde: Viele Menschen haben Königs Verständnis für die gesellschaftlichen Entwicklungen als Zustimmung zur Beliebigkeit interpretiert. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden - und sich seinen Gott, seine Vorstellung von Gut und Böse, vom Jenseits und von seiner Kirche selber aus seinem Baukasten zusammensetzen.

Das passierte nicht von heute auf morgen, das führte noch nicht zu Austrittswellen - auch wenn die Zahl der Kirchenaustritte im Jahr des groß mit Papstbesuch gefeierten Katholikentages 1983 mit weit mehr als 33.000 auch schon beachtlich war.

Es kam aber noch schlimmer: Gerade weil in den Achtzigerjahren ein neuer, fundamentalistisch angehauchter und von Marienverehrung geprägter Wind durch die Kirchen wehte, nahm die Verwirrung zu. Groër und Krenn passten so gar nicht zu dem freundlichen, aber harmlosen Bild, das die katholische Kirche Österreichs von sich gezeichnet hatte: Plötzlich wurde wieder daran erinnert, dass Sakramente und Gottesdienstbesuch zum kirchlichen Leben gehören; Gehorsam wurde eingefordert, vor allem von jenen Gutwilligen, die an einem moderneren Kirchenverständnis aktiv mitarbeiteten.

Nun ist die katholische Kirche ja nicht gerade als demokratisches Schulbeispiel konzipiert - aber das Unverständnis, mit dem die Kirchenführung gerade den engagiertesten Kirchenmitgliedern gegenübergetreten ist, hat viele von der Kirche entfremdet.

Die Sex-Skandale haben dann für viele so genannte Taufschein-Katholiken bloß den letzten Anstoß dafür gegeben, eine Bindung zu lösen, die im Herzen schon längst nicht mehr bestanden hat. Geschweige denn in der Seele, an die (und an deren ewiges Leben) zu glauben man irgendwann im Lauf der Jahre aufgehört hat.

Da liegt das eigentliche Problem der Kirchen - nicht nur, aber eben vor allem der römisch-katholischen Kirche: Die Menschen haben den Glauben verloren. Den Glauben aber verliert man nicht wegen der so genannten "Bubenstreiche" in einem Priesterseminar, auch nicht wegen der dümmlichen Verharmlosung der Zustände dort.

Es geht um viel mehr: Die Führung der Kirche, die sich offenbar so schwer tut, über die eigene Anfälligkeit zur Sünde zu sprechen, hat auch die Fähigkeit verloren, die Frohe Botschaft zu verkünden. Dabei gibt es immer noch Millionen Mitglieder der Kirche in Österreich - von denen aber nur mehr eine verschwindende Minderheit die Messe besucht und die Sakramente empfängt. Wir fürchten den Teufel so wenig, wie wir die Erlösung im Jenseits erhoffen: Die Kirche hat einfach die Deutungsmacht über die Sehnsüchte ihrer Gefolgschaft verloren.
(Erstveröffetlichung in: DER STANDARD, 19.1.2005)

Plädoyer für eine Wehrersatzsteuer

Im Standard habe ich unter dem Titel "Sozialer Frondienst" auseinanderzusetzen versucht, dass Zivildienst immer mehr zu einer Ausbeutung von Wehrdienstverweigerern verkommt und als Alternative vorgeschlagen, dass alle, die keinen Wehrdienst leisten, über einen lebenslangen Zuschlag zu Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträgen leisten sollten. Hier der Volltext meines Kommentars:

"Zivildienst soll nach den Vorstellungen derer, die ihn regeln, offenbar mit viel persönlichem Leid verbunden sein: Nach der Abschaffung der inquisitorischen Befragung bei der "Gewissensprüfung" 1991 wurde die Dauer des Zivildienstes in möglichst prohibitiv wirkende Höhen geschraubt. Erklärtermaßen, damit nicht ganze Jahrgänge den Härten der soldatischen Ausbildung in den Wehrersatzdienst entfliehen.
Dabei wurde in Kauf genommen, dass der Staat jungen, wehrunwilligen Männern eine moderne Form des Frondienstes abverlangt: Mit extrem schlecht bezahlter und willkürlich auferlegter Arbeitszeit müssen sie eine Reihe sozialer Dienste unterstützen - und diese sind inzwischen so sehr auf die staatlich zugewiesenen Hilfskräfte angewiesen, dass zäh um jeden Tag Dienstzeit und um jeden Euro Entlohnung gerungen wird. Dabei hat sich das Umfeld in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert: Seit geraumer Zeit ist es gerade das Bundesheer, das die Bedeutung der Zivildiener für das Sozialsystem betont, wenn wieder einmal eine Abschaffung der Wehrpflicht vorgeschlagen wird. Denn das Bundesheer braucht Rekruten, ebenso wie die Blaulichtorganisationen soziale Hilfsarbeiter brauchen.
Oder, wenn man näher hinsieht: Das Bundesheer braucht eigentlich professionell einsetzbare Soldaten und das Sozialsystem eigentlich professionelle Mitarbeiter. Was, wenn eines Tages die Wehrpflicht ausgesetzt werden sollte - und zumindest für Friedenszeiten ein Berufsheer geschaffen würde?
Alle Berechnungen zeigen, dass so ein Heer teurer würde und letztlich von denen bezahlt werden müsste, die nicht darin dienen: Die Lösung hieße Wehrersatzsteuer, die man der Gerechtigkeit halber auch als Zuschlag auf die Einkommen oder Sozialbeiträge jener erheben sollte, die es sich gerichtet haben und heute (etwa als Politiker) vollwertig arbeiten, obwohl sie untauglich waren. Aus den Erträgen jener Steuer könnte man dann auch vollwertige Arbeitskräfte in Sozialberufen bezahlen - und das unzeitgemäße Fronsystem im Zivildienst abschaffen. "
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.1.2005)

17.1.05

Noch ein Credo für Österreich

Dieser Tage ist mir das Österreichische Credo des 1932 verstorbenen Anton Wildgans untergekommen - mir gefällt das Bild von den Österreichern als friedlichen Zechern, das da vermittelt wird:

„Wohl wahr, sie schienen unbewegte Zecher
an ihren Tischen, schön und wohlbestallt,
allein die Neige ihrer heit'ren Becher
war nie der Haß, ihr Rausch war nie Gewalt.

Unendlich ist, was dieses Volk gelitten,

Erniedrigung, Verfolgung, Hunger, Leid -
und trug es stark und trug's mit sanften Bitten
in Stolz und Demut seiner Menschlichkeit."

12.1.05

Vor- und Nachteile der Zuwanderung

In der Welt hat Walter Laqueur unter dem Titel "Mein London" seine Erfahrungen der Veränderung der Gesellschaft der englischen Hauptstadt in den letzten 50 Jahren aufgearbeitet. Sie habe sich - obwohl in den 50 Jahren davor zwei Weltkriege stattgefunden haben - seit 1953 stärker verändert als im halben Jahrhundert davor. Laqueur, selbst ein Vertriebener des Nazi-Regimes mit reicher, aber auch schmerzlicher Migrationserfahrung, macht dafür vor allem die Zuwanderung verantwortlich: "Das London des Jahres 1953 war eine homogene Stadt. Natürlich gab es Konzentrationen: Australier und Polen wohnten damals in der Gegend von Olympia. Juden waren noch im East End und vor allem in Golders Green zu finden. Die Iren lebten geballt in Kilburn und die Afrikaner in Brixton, südlich der Themse. Aber sie alle sprachen Englisch und waren Teil der Londoner Szenerie. Das hat sich weitgehend geändert."
Inzwischen wirke nicht einmal die Sprache integrierend, es gebe immer mehr "no go zones". Bei aller politischen Toleranz gegenüber Flüchtlingen sei eine Fehlentwicklung eingetreten: "Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte hat mit Multikulti nicht viel zu tun. Es ist vielmehr eine Sammlung von Ghettos und das hat, wie nicht anders zu erwarten, zu Spannungen und großen Widerständen geführt."
Laqueur beschreibt aber auch die positiven Aspekte, weil es eben integrationswillige und aufstrebende Einwanderer - etwa Inder und Chinesen (deren Kinder stets überdurchschnittliche Schulleistungen haben) aber auch Zyprioten und Polen - gibt, die die Gesellschaft bereichern und andere, die sich der Gesellschaft gar nicht zugehörig fühlen. Und vor deren Agieren Laqueur daher warnt: Seien es (illegale) albanische Einwanderer, die die Prostitution kontrollieren oder die muslimische Subkultur, in der sich auch die Migranten der zweiten Generation ihre Partnerinnen aus den konservativen Dörfern in Pakistan oder Bangladesch holen und radikalen Predigern ganz bewusst folgen.

7.1.05

ÖVP-Sozialsprecher will nicht nachgeben

Kürzlich saß ich mit ÖVP-Sozialsprecher Walter Tancsits "auf ein Bier" zusammen und erzählte ihm unter anderem von diesem Blog "Biertisch". Biertisch-Politik, meinte er, sei keineswegs etwas Verwerfliches. So entspann sich ein Gespräch, das im Standard zum Seitenaufmacher wurde und für reichlich Diskussionsstoff sorgte.

Hier der Text des Artikels:
Die ÖVP dürfe nicht in den Fehler verfallen, sozialdemokratische Politik zu machen. Davor warnt ÖVP-Sozialsprecher Walter Tancsits seine Parteifreunde in einem Gespräch mit dem STANDARD. Tancsits: "Wir machen das ohnehin in Bereichen, wo es sachlich gerechtfertigt erscheint - wenn wir etwa zur Sanierung der Krankenkassen Beiträge erhöhen oder die Höchstbeitragsgrundlage anheben, gehen wir damit auf sozialdemokratische Forderungen ein. Aber dass manche in der ÖVP meinen, dass der Vorwurf berechtigt wäre, dass wir Sozialabbau treiben, ist eine Verkennung der Tatsachen."
Tancsits wünscht sich mehr Selbstbewusstsein, wenn die ÖVP vertritt, welche Maßnahmen sie setzt: "Der allergrößte Teil unserer Leute glaubt, wenn wir noch ein bisserl mehr nachgeben, dann wird uns keiner mehr soziale Kälte vorwerfen können." Das sei aber eine Fehleinschätzung, so Tancsits: "Was immer wir tun, unsere politischen Gegner werden es jedenfalls als soziale Kälte bezeichnen. Was sollten sie denn sonst sagen? Uns anzuschütten ist doch bitte das Geschäft der Opposition."
Und diesem Geschäft dürfe die ÖVP nicht Vorschub leisten. Dem Einwand, dass der Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit etwa bei der Besteuerung von Großunternehmen berechtigt sein könnte, tritt Tancsits mit entsprechender Entschlossenheit entgegen.
Zwar stimme es, dass manche Unternehmen sehr steuerschonend bilanzieren - "andererseits darf man nicht übersehen, dass sie irgendwann auch etwas in Österreich auszahlen, und dann wird Steuer fällig, wenn auch nicht direkt. Denn ob sie Gehälter oder Firmenpensionen zahlen, ob heimische Aktionäre Dividenden beziehen oder auch nur ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt wird: Irgend eine Steuer fällt an, wenn auch die Unternehmensbesteuerung an sich gering ist."
Linke "Spießbürger"
Für Unternehmer sei der steuerliche Gestaltungsspielraum auch nicht größer als das "Jahressechstel" (vulgo "13. und 14. Gehalt"), für das Unselbstständige große steuerliche Vergünstigungen genießen. Überhaupt: "Auch der Begriff ,Großunternehmen' ist einer, den die Linke besetzt hat." Dieser Besetzung der Begriffe müsse die ÖVP aber entschlossen und selbstbewusst entgegentreten, sagt Tancsits: "Wir müssen sagen, dass die Schule eine Einrichtung für Bildung - und nicht für Integration - ist. Wir müssen sagen, dass Kultur zur Erbauung dient - und nicht zur ständigen moralischen Selbstreflexion und zum Ausweinen."
Im Gegensatz zu früher stünde der "moralinsaure Spießbürger" heute eigentlich links - und da lohne es für die ÖVP nicht, sich anzubiedern. Sie müsse gerade in den Städten eine klar profilierte Alternative darstellen: "Wir müssen versuchen, die Optimisten anzusprechen. Das kann nicht von heute auf morgen passieren. Aber wir müssen das Bewusstsein, warum wir diese oder jene Position einnehmen, schärfen." Nur dann könne eine konservative Wende, die in der Sachpolitik eingeleitet wurde, auch gesellschaftlich Fuß fassen.
"Konservative Politik"
Etwa in der Familienpolitik: "Wir machen das Richtige, fördern die Familien wie noch nie - trauen uns aber nicht zu sagen: Seht her, das ist konservative Politik. Wenn die nächsten zwei Jahre bis zur Wahl dem ,Verkaufen' von Erfolgen dienen soll, dann muss man das auch wirklich machen und sagen: ,Wir bekennen uns zur Familie nicht nur dann, wenn es um Familienzusammenführung geht.'"
Zu erfolgreicher konservativer Politik gehöre auch die Besetzung von Begriffen - wenn etwa "Stammtischpolitiker" abwertend verwendet werde, sollten Konservative auf die Erfolge der "Reblauspolitik" eines Leopold Figl verweisen, sagt Tancsits: "Das waren noch Politiker, die unter die Leute, an den Biertisch und zum Heurigen gegangen sind - dort aber nicht das Blaue vom Himmel versprochen haben. Das war damals durchaus positiv besetzt
."

3.1.05

Lasst es euch gut gehen! In Thailand. Jetzt.

Der Betroffenheitsrhetorik zum Trotz: Die meisten österreichischen Familien sind keineswegs "betroffen" von der Katastrophe in Asien. Beeindruckt, das sind wir sicher alle - aber betroffen sind nur jene, deren engere Umgebung mittelbar oder unmittelbar Schaden genommen hat; also ein paar Tausend Österreicher, aber viele Hunderttausend Menschen in den Katastrophengebieten.
Menschen, die zum Teil vom Tourismus leben.
Allein in Phuket rechnet man, dass 10.000 Beschäftigte in der Hotelindustrie zu den Verlusten durch die Katastrophe auch noch den Verlust ihres Arbeitsplatzes und damit ihrer Lebensgrundlage verbuchen müssen. Dabei gibt es Bereiche, wo die touristische Infrastruktur innerhalb von Wochen wieder aufgebaut sein wird - oder wo sie gar nicht wirklich gelitten hat.
Dort könnte man also Urlaub machen. Dort könnte man Geld ausgeben, Arbeitsplätze erhalten und durch ganz konkretes Konsumverhalten zeigen, dass man die Menschen und ihre wirtschaftlichen Interessen ernst nimmt. Mit der Reise in ihr von der Naturkatastrophe ohnehin schwer getroffenes Land bietet man dem Kellner und dem Souvenirhändler, dem Taxifahrer und dem Nudelverkäufer eine Überlebensperspektive.
Es ist ja nicht so, dass sich irgendjemand vornimmt, nie wieder Urlaub zu machen. Sondern eben anderswo. Reisekonzerne kündigen die Hotels gleich pauschal - und lenken damit rund 550 Millionen Euro Touristikumsatz von Thailand weg in andere Regionen. Anstatt die mangelnde Sensibilität jener zu beklagen, die es sich in der Nachbarschaft der Katastrophe gut gehen lassen (und damit Geld in den Aufbau pumpen), sollte man die mangelnde Sensibilität jener hinterfragen, die den gebeutelten Gebieten auch noch die Geschäftsgrundlage entziehen.
(Der Standard, Printausgabe 4. Januar 2005)

1.1.05

Auf ins Gedanken-Jahr!

Wenn wir nun offiziell das Jahr 2005 als Gedanken-, Gedenk-, Jubiläums- oder sonstwie feierlich ausgerichtetes Jahr begehen sollten, dann sollten wir das auch mit der gebührenden Portion Patriotismus tun - wie er aus den bemühten Zeilen Ottokar Kernstocks spricht, der Österreich 1929 den Text zur neuen Bundeshymne (zu singen nach der Melodie der alten Haydn-Hymne) lieferte. Die SPÖ - obwohl zu jener Zeit selber durch ihr Linzer Programm (VI. 4) programmatisch auf einen Anschluss an Deutschland ausgerichtet - war damals gegen den Text, seinen Gottesbezug, vor allem aber die Melodie, die an die Kaiserzeit erinnerte. Nach 1955 wurde der Text noch einmal in einem (halb)offiziellen Buch "Mein Österreich - Mein Vaterland" abgedruckt, hier ist er:

Hymne an Österreich

Sei gesegnet ohne Ende,
Heimaterde, wunderhold!
Freundlich schmücken dein Gelände
Tannengrün und Ährengold.
Deutsche Arbeit, ernst und ehrlich,
Deutsche Liebe, zart und weich -
Vaterland, wie bist du herrlich,
Gott mit dir, mein Österreich!

Keine Willkür, keine Knechte!
Off'ne Bahn für jede Kraft!
Gleiche Pflichten, gleiche Rechte!
Frei die Kunst und Wissenschaft!
Starken Mutes, festen Blickes,T
rotzend jedem Schicksalsstreich,
Steig empor den Pfad des Glückes,
Gott mit dir, mein Österreich.

Laßt, durch keinen Zwist geschieden,
Uns nach einem Ziele schau'n!
Laßt in Eintracht und in Frieden
Uns am Heil der Zukunft bau'n!
Unsres Volkes Jugend werde
Ihren starken Ahnen gleich!
Sei gesegnet, Heimaterde!
Gott mit dir, mein Österreich!

Möge Gott mit uns sein - und helfen, dass die anderen in dieser Hymne geäußerten Wünsche nach Einigkeit, Ablehnung von Willkür, Förderung der Freiheit der Kunst und Wissenschaft und dem liberalen Grundsatz von "offener Bahn für jede Kraft" 2005 wahr werden.