19.10.11

Erinnerungen des VfGH-Präsidenten

Was er erreicht hat, hat er durch Protektion erreicht - aber eben nicht nur durch Protektion. Ludwig Adamovich spricht es offen an, dass sein erster Job bei der niederösterreichischen Landesregierung guten Beziehungen zu verdanken war, sein rasche Umstieg in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ebenso. Allerdings: Gute Beziehungen hatten andere auch; und der "junge Adamovich" stand stets unter strenger Beobachtung, gemessen wurde er an der juristischen Brillanz seines strengen gleichnamigen Vaters (1890-1955), der seinerzeit als einer der brillantesten Verfassungsjuristen gegolten hat.

Und er hat diesem keine Schande gemacht, im Gegenteil: Wie der Vater stieg Adamovich zum Professor in Graz und schließlich zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs auf. Und das in einem politischen Umfeld, das für den im Jahr 1956 der ÖVP beigetretenen Juristen nicht unbedingt günstig war. In seinen Erinnerungen gibt es daher viel Lob für den roten Kanzler Bruno Kreisky und dessen Staatssekretär Franz Löschnak - und eine sehr differenzierte Sicht auf die ÖVP. Elegant verpackt er die Häme, mit der er manche Spitzenpolitiker betrachtet, in ein Lob für Josef Klaus: "Ein Idealist mit durchaus positiver Beziehung zur Macht und der erste und bisher einzige Bundeskanzler mit echter Beziehung zum Recht". Wenn der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident so etwas schreibt, dann müssten sich die noch lebenden (Ex-)Kanzler schämen.

Tun sie wahrscheinlich nicht. So wie wohl auch in der ÖVP die Passage überlesen wird, in der Adamovich von der ideologischen Überzeugung schreibt, aus der er der ÖVP beigetreten ist - und von der Entideologisierung der Partei zur Jahrtausendwende, sprich: unter Wolfgang Schüssel.

Das war dann auch die Zeit, zu der Adamovich den größten Angriffen ausgesetzt war: Es ging um die Ortstafelfrage, in der sich Adamovich gegen den Populismus des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider ("ein Spieler, aber kein Neonazi") stellte - und sich vom ÖVP-Klubobmann Andreas Khol den Vorwurf gefallen lassen musste, er betreibe "unnötige Dramatisierung". Nicht gedankt wurde ihm, dass er während der „Sanktionen“ der 14 EU-Staaten seine Heimat vor dem Europarat-Ausschuss des französischen Senates verteidigt hat. Und schließlich widerfuhren ihm gerade in jüngster Vergangenheit als Vorsitzendem der „Evaluierungskommission“ in der Kriminalsache Natascha Kampusch dramatische Erlebnisse, auch mit der Strafgerichtsbarkeit. So sind seine Erinnerungen nicht nur ein unschätzbares Zeitzeugnis österreichischer und europäischer Geschichte, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Frage von Macht und Machtmissbrauch und ein Plädoyer für neue Standards in unserer Rechtskultur.

Ludwig Adamovich: "Erinnerungen eines Nonkonformisten", Seifert-Verlag, 207 Seiten, € 22,90