13.9.11

Die Koalition kann nicht einmal richtig streiten - Da wenden sich die Bürger ab

Eigentlich wäre die Zeit so günstig wie nie: Noch nie hat die Zweite Republik eine so lange Legislaturperiode gehabt - und für lange Zeit wird es keine so lange wahlkampffreie Zeit geben wie in den Jahren 2011 und 2012, in denen die Bundesregierung nicht auf das Wählerverhalten in diesem oder jenem Bundesland Rücksicht nehmen muss. Eine ideale Zeit, mit ruhiger Hand zu regieren. Eine ideale Zeit auch zum Streiten.

Aber nicht einmal das kann diese Koalition richtig: Streiten mit dem Ziel, am Ende des Streits eine für beide Parteien tragbare und für das Staatsganze nützliche Lösung zu erzielen, traut man SPÖ und ÖVP nicht zu. Immerhin muss man zugeben, dass das Land nicht gar so schlecht verwaltet wird - im Rahmen der vorgegebenen Verwaltungsstrukturen. Diese aber sind längst als Kostentreiber identifiziert, doch die "Reformagenda Verwaltung" abzuarbeiten ist von den Regierungsparteien offenbar zu viel verlangt. Da bekämen sie rasch Erklärungsbedarf gegenüber ihren Landesorganisationen.

Diese stellen aber ohnehin schon allerlei despektierliche Fragen: Wofür "die in Wien" überhaupt gut wären, mault man bereits in der ÖVP-Basis. Und die ÖVP-Spitze hat tatsächlich den größten Erklärungsbedarf. Allgemein fällt auf, dass ihr politisches Konzept darin besteht, zu möglichen Änderungen Nein zu sagen - sei es zur Schwächung der Länder, zur Besteuerung privater Vermögen, zur Gesamtschule oder zu einem Berufsheer. Das Festhalten am Status quo ist auch für eine erklärt konservative Partei wie die ÖVP ein bisserl wenig Programm.

Alle Umfragen zeigen denn auch: Die ÖVP würde, wenn jetzt gewählt würde, maximal 25 Prozent (einen Prozentpunkt weniger als 2008) erreichen, vielleicht aber auch nur 23 oder gar 20 Prozent. Gut für die ÖVP, dass jetzt nicht gewählt wird. Schlecht für die ÖVP, dass sie sich nicht einmal selbst zutraut, bis zur nächsten Wahl inhaltlich und organisatorisch stark genug für den Kanzleranspruch zu werden.

Der SPÖ geht es besser - scheinbar jedenfalls: 28 bis 30 Prozent in den Umfragen, das ist eher schlechter als das letzte Wahlergebnis (29,5 Prozent) - aber an der roten Parteispitze kann man sich immerhin damit beruhigen, dass die SPÖ ziemlich unangefochten die Nummer eins ist. Beruhigen? Nein, das ist eigentlich nicht beruhigend, es stachelt erst recht die Kritik der Basis (und der Bundesländer) an: Wenn die SPÖ doch ohnehin relativ stark ist, warum macht sie dann nicht linke Politik? Das ist doch seit den frühen Tagen der schwarz-blauen Regierung versprochen worden - wurde dann mit roter Mehrheit aber weder von Alfred Gusenbauer noch von Werner Faymann eingelöst.

Zumindest den Anschein will man sich geben, ein wenig rote Flagge zeigen - ohne allerdings die in der Mitte der Gesellschaft etablierte Stammwählerschaft und ihr kleinformatiges Leibblatt zu verprellen.

Also wird ein bisserl Zwischenwahlkampf gemacht. Die Oppositionsparteien nehmen den Ball gern auf, so kommt ihre Kritik an den Zuständen so richtig zur Geltung. H.-C. Strache und die Seinen sehen es mit Vergnügen. Man übt schon einmal staatsmännische Posen, nicht nur im blauen Lager: Die Grünen versuchen sich als Europa-Partei. Vielleicht kann man ja so die verbliebenen politikinteressierten Bürger gewinnen. Von der österreichischen Innenpolitik wenden die sich nämlich verärgert ab.( DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2011)