1.1.12

Verglichen mit den Sorgen, die eine Angela Merkel oder ein Barack Obama haben, erscheinen die eigenen Probleme gering

Schwierig mag es wohl werden, das neue Jahr - aber eher für die anderen - Verglichen mit den Sorgen, die eine Angela Merkel oder ein Barack Obama haben, erscheinen die eigenen Probleme gering

Wien - Ja, ein bisserl Sorgen macht man sich um den Arbeitsplatz. Auf 42 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer trifft das zu, 13 Prozent machen sich sogar große Sorgen. Aber diese Werte sind seit Jahren unverändert: Wie schon im Dezember 2010 und im Vor-Krisen-Jahr 2007 machen sich 47 eben keine Sorgen. Und wenn man die Frage anders stellt - nämlich ob man erwartet, dass der eigene Arbeitsplatz erhalten bleibt, dann sagen nur drei Prozent, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie die Arbeit verlieren, weitere elf Prozent halten das immerhin für wahrscheinlich. Aber 86 Prozent der Berufstätigen halten es für mehr oder weniger sicher, dass der Arbeitsplatz erhalten bleibt.

Mit 61 Prozent ist der Optimismus der Bevölkerung für die nächsten zwei bis drei Monate zwar nicht überragend, der Pessimistenfraktion gehören erklärtermaßen aber nur 31 Prozent an.

Das geht aus der aktuellen Market-Umfrage für den Standard hervor. der Standard ließ erheben, mit welchen Sorgen und Erwartungen die Österreicher ins neue Jahr gehen: An der Spitze der Liste steht wie schon in vergangenen Jahren die Sorge vor einer zunehmenden Kluft zwischen Reichen und Armen - 44 Prozent machen sich derzeit große Sorgen in dieser Hinsicht, zehn Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr. Weiteren 42 Prozent macht das "etwas Sorgen".

Gleichzeitig wachsen die Zweifel, dass diese Kluft geschlossen werden wird: 59 Prozent halten es für "überhaupt nicht wahrscheinlich", dass die Kluft auch nur kleiner wird. In den Vergleichsumfragen vergangener Jahre war stets rund ein Viertel der Befragten der Meinung, dass es da wahrscheinlich Fortschritte geben werde - jetzt ist dieser Wert auf 16 Prozent gesunken.

Der zweite Sorgenbereich betrifft die soziale Sicherheit - ihre Entwicklung macht 36 Prozent große Sorgen, 51 Prozent etwas Sorgen. Bei den nicht berufstätigen Befragten ist die Sorge noch eine Spur größer als bei Berufstätigen. Praktisch gleich sind die Werte, die Sorgen um das Pensionssystem ausdrücken, das ja Teil des sozialen Sicherungsnetzes ist.

Mit weitem Abstand dahinter kommt die Sorge um die "Integration von ausländischen Mitbürgern" - 26 Prozent sorgt das sehr, 44 Prozent etwas. Alle diese Sorgen werden noch vor jener um die eigene Gesundheit genannt.

der Standard ließ auch erheben, wie die Österreicher ihre eigenen Zukunftserwartungen im Vergleich zu denen von Politikern sehen. Dabei zeigt sich: Der durchschnittliche Österreicher schätzt seine eigene Situation viel, viel günstiger ein als die wichtiger Politiker. Am schwersten wird es demnach vor allem Russlands Premier (und wohl künftiger Präsident) Wladimir Putin haben. Die Grafik zeigt: Allenfalls dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wird zugetraut, dass das Jahr 2012 besser wird - allen anderen wird überwiegend ein hartes Jahr vorhergesagt. (Conrad Seidl/DER STANDARD-Printausgabe, 2. Jänner 2012)

28.12.11

Die Realverfassung ist freilich anders

Preisfrage: Wie heißt der gewählte Bundeskanzler der Republik Österreich? Das weiß doch jedes Kind! Und jeder politisch interessierte Mensch meint auch zu wissen, dass Werner Faymann zum Kanzler gewählt wurde.

Stimmt aber nicht. Die Verfassung unserer Republik ist ganz anders strukturiert, als sie real gelebt wird. Da kandidieren Politiker bei der Nationalratswahl für einen Parlamentssitz, den sie in Wahrheit gar nicht einnehmen wollen, weil sie eher auf einen Sessel gegenüber, auf der Regierungsbank, streben. Aber dorthin werden sie - auf Vorschlag ihrer Partei - vom Bundespräsidenten gesetzt, nicht vom Parlament. Und schon gar nicht von den wahlberechtigten Bürgern.

Der Verfassungsrechtsprofessor Manfried Welan hat dieser Tage in einer Sammlung von Aphorismen und Assoziationen zur Verfassung auf das seltsame Verhältnis zwischen den Bürgern, ihren verbrieften Rechten und der gelebten politischen Kultur hingewiesen, die ihren republikanischen Charakter seit 1918 nicht recht finden konnte. Wie ein Wasserzeichen schimmere das Monarchistische durch die Verfassung: "Der Kanzler ist Aktivkönig, der Präsident Passivkönig." Das Recht geht zwar vom Volke aus, so steht es im Artikel 1 des BVG - aber kommt es dorthin auch zurück?

Nicht, wenn das Volk sich seiner Rechte nicht besinnt. Das ist schwer genug, wenn man die Enttäuschungen kennt, die aktive Unterstützer von Volksbegehren erlebt haben: So oft hat man schon für dieses oder jenes unterschrieben - herausgekommen ist selten etwas.

Einige wenige Politiker machen sich immerhin die Mühe, über eine stärkere Verankerung des direkt ausgedrückten Volkswillens in der politischen Praxis ernsthaft nachzudenken. Dabei bekommt man ohnehin rasch ein mulmiges Gefühl - wahrscheinlich ähnlich dem, das Hans Kelsen hatte, als er unter dem Eindruck des Umbruchs von 1918 das österreichische Bundesverfassungsgesetz entwarf. Und das auch ähnlich jenem Gefühl ist, das die Autoren des deutschen Grundgesetzes 1948 geleitet hat: Was, wenn die Volksmassen wieder einmal verführt werden - von Kommunisten, Nazis, Scharlatanen?

Die Verfassungen und die politische Praxis sind in Deutschland wie in Österreich eher darauf ausgelegt, den Rechtsstaat vor fehlgeleitetem Volkswillen zu schützen.

Da ist etwas dran: Grund- und Freiheitsrechte darf man keiner Mehrheitsentscheidung unterwerfen. Aber wenn es sich nicht um die Wiedereinführung der Todesstrafe oder die Streichung von (ohnehin schwach ausgeprägten) Rechten von Asylsuchenden handelt, kann man einer Bürgerpartei ruhig dieselben Rechte geben wie gewählten Abgeordneten: Wer eine gewisse Zahl von Unterstützern mobilisieren kann, sollte auch das Recht haben, einen parlamentarischen Antrag einzubringen und seine Behandlung zu erzwingen. Mehr noch: Einer Gruppe von - beispielsweise - 15 Prozent der Wahlberechtigten könnte man auch zubilligen, ein Veto-Referendum über ein schon beschlossenes Gesetz zu erzwingen.

Es ist der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hoch anzurechnen, dass gerade sie als Parlamentarierin die direkte Demokratie fördern will. Darüber darf aber nicht vergessen werden, was für das politische Tagesgeschäft relevant ist: Dieses braucht offenere Parteien und selbstbewusstere Volksvertreter in den Parlamenten. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.12.2011)

28.10.11

Wie Grüne Parteisteuern Bürgerinitiativen subventionieren

Umweltschutz funktioniert heute anders als vor 20 Jahren – aber manche Mechanismen bleiben: Bürgerinitiativen sind das wichtigste Gegengewicht zu potenziell die Natur und die Umwelt bedrohnenden Projekten geblieben. Sie sind „die Guten“, ihre Anliegen werden von Grün-Politikern nach Kräften unterstützt. Und diese Kräfte sind aus einem Topf gespeist, der seit 20 Jahren aus den Bezügen der Nationalratsabgeordneten der Grünen monatlich wiederaufgefüllt wird.
Der aktuelle Bericht des Vereins BIV zur Unterstützung von Bürgerinitiativen weist 51.846,51 Euro an Beiträgen der Abgeordneten aus – über zwei Jahrzehnte haben sich die Beiträge auf 718.174,28 Euro summiert, 635.559,64 sind bisher für Bürgerinitiven ausbezahlt worden. Sehr oft mit weit über den Anlassfall hinaus wirkenden umweltpolitischen Effekten, sagt Marlies Meyer, der Klubjuristin der Grünen, die die Geschäfte des Vereins führt: „Wo wirtschaftliche Unvernunft auf initiative Bürger trifft, da sind Erfolge möglich.“
Als Beispiel nennt sie den Anrainerwiderstand gegen die Wiederinbetriebnahme des Kohlekraftwerks Voitsberg durch die A-Tec von Mirko Kovats: Hier hat eine Bürgerinitiative so lange Rechtsmittel eingelegt, bis sich herausgestellt hat, dass das Projekt ohnehin wirtschaftlich sinnlos ist. Nun soll das Krafwerk demontiert werden. Wäre es nach Kovats und der steirischen Landespolitik gegangen, wäre das alte Braukohlekraftwerk auf (importierte) Steinkohle umgerüstet worden – entgegen den erklärten energiepolitischen Zielen des Bundes.
Unter die Erfolge des Jahresberichts 2010 zählt Meyer unter anderem die Verhinderung des Ausbaus des ÖBB-Kraftwerks Spulersee in Vorarlberg, der Auswirkungen auf das Lechtal gehabt hätte. Umweltschützer und die Alpgemeinschaft hatten gegen das Projekt eine Beschwerde bei der EU-Kommission erhoben, woraufhin eine innerstaatliche Genehmigung gar nicht erst erteilt wurde.
Maria Scheiber, Tiroler Landtagsabgeorndete der Grünen und Aktivistin der Bürgerinitiative „ObAcht Lechtal“ zieht daraus einen allgemein gültigen rechtspolitischen Schluss: „Meinen Infos zufolge hat die Beschwerde ihre Aufgabe hervorragend erfüllt, über möglichen Genehmigungen durch Bund und Länder wie ein Damoklesschwert zu schweben. Jede Bescheid ausstellende Behörde musste duch sie von vorneherein mit einer Überprüfung ihrer Entscheidung durch die EU rechnen.“
Auch wenn die EU nicht immer der natürliche Verbündete der Umweltschützer ist – in vielen Fällen hat sie deren Anliegen genutzt. Wobei sich Meyer durchaus noch Verbesserungen des EU-Rechts wünscht. In einem anderen vom Verein BIV mitfinanzierten Rechtsstreit – in der Sache ging es um die Durchsetzung eines UVP-Verfahrens für den Skylink-Terminal am Flughafen Wien – zeigte sich, dass die Bürger gegenüber ihrem Heimatland im Nachteil sind, wenn sie ein Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH einleiten: Die Republik Österreich konnte erfolgreich geltend machen, dass ihre Schreiben an den EuGH der klagenden Partei (also den initiativen Bürgern) nicht bekannt gemacht werden dürfen.
Meyer erklärt dem Standard: „Die EU-Verordnung über den Zugang zu Dokumenten ist refombedürftig. Im EU-Parlament nimmt sich unsere Abgeordnete Eva Lichtenberger der Sache an.“
Generell ist das Rechtssystem aber viel besser auf den Umgang mit engagierten Bürgern eingestellt als früher, sagt Ronald Schmutzer, Vorstand des BIV. Und damit müssten sich auch die Bürgerinitiativen abfinden: „Ich sage den Leuten immer: ‚Legt jedes Wort auf die Goldwaage, wenn Ihr einen Vorwurf erhebt!‘“ Allzu rasch können sich Bürgerinitiativen nämlich eine Ehrenbeleidigungsklage einhandeln. Schließlich hätten nicht nur die Bürgerinitiativen, sondern auch die Projektwerber juristisch aufgerüstet. Seit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Jahr 1993 hat sich die Qualität der Anträge wesentlich verbessert: Da es vom Gesetz vorgeschrieben ist, prüfen die Planer bereits im Vorfeld die Umweltauswirkungen ihrer Projekte, man weiß in vielen Fällen, wo man als Gegner ansetzen kann.
Aber man muss oft auch Grenzen einsehen: „Es gehört zu den schwierigsten Sachen, eine Bürgerinitiative, die zu Recht empört ist, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Großprojekt geplant ist, davon zu überzeugen, dass sie rechtlich keine Chance hat. Und das, obwohl Anwälte, die ja jedenfalls am Verfahren verdienen, der Bürgerinitiative vielleicht bessere Aussichten einzureden versuchen“, sagt Schmutzer dem Standard.
„Die Gegenseite ist nicht mehr automatisch so ‚böse‘ wie früher, sie hat sich mit Umweltauflagen meist schon auseinandergesetzt“, sagt auch Meyer. Aber was im Einzelfall umweltgerecht erscheint, kann im größeren Zusammenhang dennoch falsch sein – wenn etwa eine Straße umweltschonend geplant wird, ein übergeordneter Verkehrswegeplan aber fehlt. An diesem Beispiel verzahnt sich das Bürgerengagement mit der parlamentarischen Arbeit der Grünen.

19.10.11

Erinnerungen des VfGH-Präsidenten

Was er erreicht hat, hat er durch Protektion erreicht - aber eben nicht nur durch Protektion. Ludwig Adamovich spricht es offen an, dass sein erster Job bei der niederösterreichischen Landesregierung guten Beziehungen zu verdanken war, sein rasche Umstieg in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ebenso. Allerdings: Gute Beziehungen hatten andere auch; und der "junge Adamovich" stand stets unter strenger Beobachtung, gemessen wurde er an der juristischen Brillanz seines strengen gleichnamigen Vaters (1890-1955), der seinerzeit als einer der brillantesten Verfassungsjuristen gegolten hat.

Und er hat diesem keine Schande gemacht, im Gegenteil: Wie der Vater stieg Adamovich zum Professor in Graz und schließlich zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs auf. Und das in einem politischen Umfeld, das für den im Jahr 1956 der ÖVP beigetretenen Juristen nicht unbedingt günstig war. In seinen Erinnerungen gibt es daher viel Lob für den roten Kanzler Bruno Kreisky und dessen Staatssekretär Franz Löschnak - und eine sehr differenzierte Sicht auf die ÖVP. Elegant verpackt er die Häme, mit der er manche Spitzenpolitiker betrachtet, in ein Lob für Josef Klaus: "Ein Idealist mit durchaus positiver Beziehung zur Macht und der erste und bisher einzige Bundeskanzler mit echter Beziehung zum Recht". Wenn der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident so etwas schreibt, dann müssten sich die noch lebenden (Ex-)Kanzler schämen.

Tun sie wahrscheinlich nicht. So wie wohl auch in der ÖVP die Passage überlesen wird, in der Adamovich von der ideologischen Überzeugung schreibt, aus der er der ÖVP beigetreten ist - und von der Entideologisierung der Partei zur Jahrtausendwende, sprich: unter Wolfgang Schüssel.

Das war dann auch die Zeit, zu der Adamovich den größten Angriffen ausgesetzt war: Es ging um die Ortstafelfrage, in der sich Adamovich gegen den Populismus des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider ("ein Spieler, aber kein Neonazi") stellte - und sich vom ÖVP-Klubobmann Andreas Khol den Vorwurf gefallen lassen musste, er betreibe "unnötige Dramatisierung". Nicht gedankt wurde ihm, dass er während der „Sanktionen“ der 14 EU-Staaten seine Heimat vor dem Europarat-Ausschuss des französischen Senates verteidigt hat. Und schließlich widerfuhren ihm gerade in jüngster Vergangenheit als Vorsitzendem der „Evaluierungskommission“ in der Kriminalsache Natascha Kampusch dramatische Erlebnisse, auch mit der Strafgerichtsbarkeit. So sind seine Erinnerungen nicht nur ein unschätzbares Zeitzeugnis österreichischer und europäischer Geschichte, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Frage von Macht und Machtmissbrauch und ein Plädoyer für neue Standards in unserer Rechtskultur.

Ludwig Adamovich: "Erinnerungen eines Nonkonformisten", Seifert-Verlag, 207 Seiten, € 22,90

17.10.11

Christoph Chorherrs neues Buch

Man stelle sich vor: Ein Ausländer mit dunkler Hautfarbe käme ins Unterrichtsministerium am Wiener Minoritenplatz, ginge zum Portier und fragte, wo er die Bewilligung zur Einrichtung einer Privatschule bekommen könne. Würde so ein Antragsteller weit kommen? Christoph Chorherr, Wiener Grünen-Politiker der ersten Stunde, hat da so seine Zweifel. In Südafrika hat er, der Weiße, es auf ähnliche Weise versucht - und sich nach einer halben Stunde im richtigen Büro bei den richtigen Leuten wiedergefunden, die ihm schließlich die Genehmigung erteilt hätten.
Chorherr führt das Beispiel seiner südafrikanischen Schulgründungen an, um die optimistische Grundthese seines Buches zu stützen: Politisch denkende Menschen könnten Veränderungen bewirken, wenn sie zu konkreten Handlungen übergingen. Die Ausrede, dass Wirtschafts- und Finanzkrisen oder gar die EU leider, leider keine bessere Politik zuließen, gelte in vielen Bereichen eben nicht, argumentiert Chorherr, der seine grundsätzlichen Überlegungen mit persönlichen Anekdoten spickt: Wenn er von der Durchsetzung des Wiental-Radwegs erzählt, dann will er damit belegen, dass die Benutzung von Fahrrädern eine kulturelle Grundsatzentscheidung darstellt, und zwar nicht nur für ihn selbst. Nachhaltig zu wirtschaften und Kulturgüter zu erhalten hat einen über den ökonomischen Nutzen hinausgehenden Effekt: Die Erhaltung des Wiener Stadtparks - der von einem Zyniker auch als attraktive Fläche für ein Business-Development betrachtet werden könnte - ist keine ökologisch zwingende Forderung, er wird zur Erbauung erhalten, ebenso wie Hofburg und Stephansdom nicht in erster Linie Touristenattraktionen, sondern eben Kulturgut sind.
Sorgsamer Umgang mit knappen Gütern - da liege viel Veränderungspotenzial brach, sagt der Grüne. Österreich müsse nur die richtigen Entscheidungen treffen: Wie das gehen könnte, schildert Chorherr in einem eigenen Demokratiekapitel, in dem er eine komplett neue Verfassung, mehr (gut vorbereitete) Volksentscheide, direkt gewählte Abgeordnete und einen mit Mehrheitswahl gewählten Regierungschef vorschlägt.


Christoph Chorherr: "Verändert! Über die Lust, Welt zu gestalten", Kremayr & Scheriau, Wien 2011, 190 Seiten, € 22,-

2.10.11

Die ÖVP wird in der Gerechtigkeitsdebatte getrieben

Wenn die ÖVP einen Kurswechsel vollzieht, dann passiert das immer schön gemächlich. Man will ja niemanden verschrecken, schon gar nicht das Kapital, das konservativem Jägerlatein zufolge "scheu ist wie ein Reh". Also hat man sich der Besteuerung der Reichen mit großer Vorsicht angenähert: Als der damalige Finanzminister Wilhelm Molterer 2007 die Besteuerung von Kursgewinnen bei Wertpapieren angehen wollte, hatte er beim mächtigen Wirtschaftsbund noch keine Chance. Nach der Wahl 2008 war das Thema dann ohnehin vergessen. Bis die SPÖ mit ihrer hartnäckig betriebenen Gerechtigkeitskampagne im Vorjahr den gesamten Komplex Vermögensbesteuerung wieder aufs Tapet brachte.

Da war angesichts der miesen Budgetlage der Widerstand erlahmt, der Wirtschaftsbund zog sich auf die Position zurück, dass Vermögenssubstanz nicht besteuert werden sollte. Von den Zuwächsen war keine Rede mehr - woraufhin die ÖVP mit der SPÖ die schlechtestmögliche Variante einer Wertpapierbesteuerung vereinbarte: Nun muss jeder Veräußerungsgewinn mit 25 Prozent versteuert werden, auch ein kurzfristiger Spekulationsgewinn, der bis dahin der vollen Progression unterlegen war.

Die Spekulanten darf das freuen. Der Mittelstand, der Wertpapiere für einen langfristigen Vermögensaufbau bis dahin steuerfrei sammeln konnte, wird geschoren - ausgerechnet von jener ÖVP, die seit den 50er- Jahren Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand gepredigt hatte.

Steuergerechtigkeit sieht anders aus. Das weiß man in der ÖVP auch, aber Vorstellungen davon lässt man lieber zuerst von der SPÖ entwickeln. Dazu kann man so schön Nein sagen. Dann kann man breit über den Schutz des Mittelstands diskutieren - in dem Wissen, dass wesentliche Steuerleistungen ohnehin nur von diesem hochgelobten Mittelstand kommen können. Und dann gibt die ÖVP wie üblich nach.

Wie eben jetzt beim Thema "Reichensteuer": Offenbar unter dem Eindruck der sozialdemokratischen Kampagnen in Ober- und Niederösterreich haben sich die Landeshauptleute Josef Pühringer und Erwin Pröll mit dem Gedanken angefreundet, bei den ganz hohen Einkommen einen Zuschlag einzuheben. Schon wird fleißig lizitiert: Während die oberösterreichische SPÖ eine Millionärssteuer fordert, könnte sich der schwarze Landeshauptmann damit anfreunden, einen Solidarbeitrag bereits bei einem Jahreseinkommen von einer Viertelmillion greifen zu lassen. Alles Verhandlungssache.

Denn: Es wird verhandelt werden, es werden neue steuerliche Belastungen kommen - das geben ÖVP-Politiker hinter vorgehaltener Hand zu. Und diese Belastungen werden genau jene Arbeitnehmer treffen, die man eigentlich zu entlasten versprochen hat. Ein Solidaritätszuschlag wird am Ende (und wie in Deutschland: gestaffelt) auch mittlere Einkommen erfassen. Das mag im Sinne des Koalitionspartners SPÖ sein - und man könnte sogar eine ehrliche Diskussion führen, ob das am Ende sogar gerecht ist.

Aber dazu müsste die ÖVP eigene, bürgerliche, christlich-soziale (oder wenn es sein muss: auch neoliberale) Vorstellungen von steuerlicher Gerechtigkeit entwickeln, vorstellen, diskutieren lassen. Das aber versäumt sie seit Jahren und zieht sich darauf zurück, dass Vermögen nicht angetastet werden dürfen. Das ist ein nettes Bekenntnis - aber es ersetzt kein konservatives Steuerkonzept.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.10.2011)

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27.9.11

Dass sich die Spitze der Koalition nun dazu bekennt, Aufträge für Inserate der Regierung nach objektivierten Kriterien zu vergeben, gibt Hoffnung

Henry Ford (1863-1947) wird der Ausspruch zugeschrieben, dass die Hälfte aller Werbeaufwendungen vergeblich wäre - dass er aber leider nicht wisse, welche Hälfte. Die Werbewirkungsforschung grübelt noch heute darüber. Und erst recht darüber, ob und wie Regierungspropaganda wirkt. Ganz ohne geht es nicht: Für die endlosen Programme, Absichtserklärungen und erst recht für die Erfolgsberichte der jeweiligen Regierung gibt es wenig redaktionellen Platz. Berichterstattung kann man nicht kaufen, journalistisches Wohlwollen schon gar nicht - aber Inseratenplatz steht gern zur Verfügung.

Das gehört zum Geschäft. Nicht zum Geschäft gehört, dass die mit Inseraten bedachten Medien ihre Gönner in der Folge hofieren - so steht es im Ehrenkodex für die österreichische Presse: "Eine Einflussnahme Außenstehender auf Inhalt oder Form eines redaktionellen Beitrags ist unzulässig." Dass in Einzelfällen dagegen verstoßen wird, ist schlimm genug. Und dass sich die Spitze der Koalition nun dazu bekennt, Aufträge für Inserate der Regierung nach objektivierten Kriterien zu vergeben, gibt Hoffnung. Vielleicht hat die Politik erkannt, dass jeder Eindruck, die Medien seien käuflich, der Demokratie schadet.

Man darf gespannt sein, wie der angekündigte Beirat die Regierungswerbung in der Praxis steuert. Und ob er durchgehen lässt, dass in Regierungskampagnen weiterhin mit dem Konterfei des jeweiligen Ministers geworben wird.

23.9.11

Offener Brief der Betriebsräte zur Inseratenaffäre

Meinungsfreiheit ist das höchste Gut einer Demokratie. Ohne unabhängigen Journalismus ist diese aber undenkbar. Um unabhängigen und qualitätsvollen Journalismus zu gewährleisten, ist ein wirtschaftliches Fundament von Medienunternehmen unabdingbar. Ein wesentlicher Teil dieses Fundaments und damit eines unabhängigen und qualitätsvollen Journalismus sind Inseratenaufträge. Dazu zählen auch Informationsschaltungen der öffentlichen Hand, insbesondere von Bundes- und Landesregierungen sowie staatseigener bzw. staatsnaher Betriebe. Diese müssen allerdings verantwortungsvoll und transparent mit Steuergeld umgehen. Das heißt: Ein Beeinflussen redaktioneller Berichterstattung ist unzulässig und selbst der Versuch auf das Schärfste zurückzuweisen. Einseitige Medien-„Förderung“ durch öffentliche Stellen ist ebenso inakzeptabel.

Als Betriebsräte und dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtete Redakteure unabhängiger Qualitätsmedien sind wir besorgt über den Eindruck, der durch die Vergabepraxis in der Öffentlichkeit entsteht: dass nämlich redaktionelle Meinung durch Inserate gekauft werden kann. Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen daher eindringlich dazu auf, das Steuergeld für wichtige Informationen verantwortungsvoller und transparenter einzusetzen.



Carmen Baumgartner-Pötz, Betriebsratsvorsitzende „Tiroler Tageszeitung“
Christa Dietrich, stv. Betriebsratsvorsitzende „Vorarlberger Nachrichten“
Ute Groß, Betriebsvorsitzende „Kleine Zeitung“
Eike-Clemens Kullmann, Betriebsratsvorsitzender „Oberösterreichische Nachrichten“
Conrad Seidl, stv. Betriebsratsvorsitzender „Der Standard“
Christoph Silber, Betriebsratsvorsitzender „Kurier“
Martin Stricker-Neumayer, stv. Betriebsratsvorsitzender „Salzburger Nachrichten“

Rückfragen: Eike-Clemens Kullmann, 0664/4120459

13.9.11

Die Koalition kann nicht einmal richtig streiten - Da wenden sich die Bürger ab

Eigentlich wäre die Zeit so günstig wie nie: Noch nie hat die Zweite Republik eine so lange Legislaturperiode gehabt - und für lange Zeit wird es keine so lange wahlkampffreie Zeit geben wie in den Jahren 2011 und 2012, in denen die Bundesregierung nicht auf das Wählerverhalten in diesem oder jenem Bundesland Rücksicht nehmen muss. Eine ideale Zeit, mit ruhiger Hand zu regieren. Eine ideale Zeit auch zum Streiten.

Aber nicht einmal das kann diese Koalition richtig: Streiten mit dem Ziel, am Ende des Streits eine für beide Parteien tragbare und für das Staatsganze nützliche Lösung zu erzielen, traut man SPÖ und ÖVP nicht zu. Immerhin muss man zugeben, dass das Land nicht gar so schlecht verwaltet wird - im Rahmen der vorgegebenen Verwaltungsstrukturen. Diese aber sind längst als Kostentreiber identifiziert, doch die "Reformagenda Verwaltung" abzuarbeiten ist von den Regierungsparteien offenbar zu viel verlangt. Da bekämen sie rasch Erklärungsbedarf gegenüber ihren Landesorganisationen.

Diese stellen aber ohnehin schon allerlei despektierliche Fragen: Wofür "die in Wien" überhaupt gut wären, mault man bereits in der ÖVP-Basis. Und die ÖVP-Spitze hat tatsächlich den größten Erklärungsbedarf. Allgemein fällt auf, dass ihr politisches Konzept darin besteht, zu möglichen Änderungen Nein zu sagen - sei es zur Schwächung der Länder, zur Besteuerung privater Vermögen, zur Gesamtschule oder zu einem Berufsheer. Das Festhalten am Status quo ist auch für eine erklärt konservative Partei wie die ÖVP ein bisserl wenig Programm.

Alle Umfragen zeigen denn auch: Die ÖVP würde, wenn jetzt gewählt würde, maximal 25 Prozent (einen Prozentpunkt weniger als 2008) erreichen, vielleicht aber auch nur 23 oder gar 20 Prozent. Gut für die ÖVP, dass jetzt nicht gewählt wird. Schlecht für die ÖVP, dass sie sich nicht einmal selbst zutraut, bis zur nächsten Wahl inhaltlich und organisatorisch stark genug für den Kanzleranspruch zu werden.

Der SPÖ geht es besser - scheinbar jedenfalls: 28 bis 30 Prozent in den Umfragen, das ist eher schlechter als das letzte Wahlergebnis (29,5 Prozent) - aber an der roten Parteispitze kann man sich immerhin damit beruhigen, dass die SPÖ ziemlich unangefochten die Nummer eins ist. Beruhigen? Nein, das ist eigentlich nicht beruhigend, es stachelt erst recht die Kritik der Basis (und der Bundesländer) an: Wenn die SPÖ doch ohnehin relativ stark ist, warum macht sie dann nicht linke Politik? Das ist doch seit den frühen Tagen der schwarz-blauen Regierung versprochen worden - wurde dann mit roter Mehrheit aber weder von Alfred Gusenbauer noch von Werner Faymann eingelöst.

Zumindest den Anschein will man sich geben, ein wenig rote Flagge zeigen - ohne allerdings die in der Mitte der Gesellschaft etablierte Stammwählerschaft und ihr kleinformatiges Leibblatt zu verprellen.

Also wird ein bisserl Zwischenwahlkampf gemacht. Die Oppositionsparteien nehmen den Ball gern auf, so kommt ihre Kritik an den Zuständen so richtig zur Geltung. H.-C. Strache und die Seinen sehen es mit Vergnügen. Man übt schon einmal staatsmännische Posen, nicht nur im blauen Lager: Die Grünen versuchen sich als Europa-Partei. Vielleicht kann man ja so die verbliebenen politikinteressierten Bürger gewinnen. Von der österreichischen Innenpolitik wenden die sich nämlich verärgert ab.( DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2011)

8.9.11

Mein Treffen mit Dennis Meadows

Dass eine Krise eine Chance ist - wie oft hat er das gehört! Und tatsächlich stecke in einer Wirtschaftskrise die Möglichkeit einer Systemveränderung, "aber sie verkleinert auch den Zeithorizont. Wenn ich dich unter Wasser drücke, dann denkst du nicht an das kommende Jahr, dann denkst du nur, wie du wieder über Wasser kommst", sagt der amerikanische Professor Dennis L. Meadows, der 1972 mit seinem Bericht an den Club of Rome (The Limits to Growth) die Ökonomenzunft aufgerüttelt und der Umweltbewegung das wissenschaftliche Rüstzeug gegeben hat.

Vier Jahrzehnte später spricht in einem Standard-Interview tiefer Pessimismus aus dem Wissenschafter vom Massachusetts Institute of Technology: "Pessimismus? Vielleicht eher: Realismus. 1972 habe ich über die Welt nachgedacht, aber die war an meiner Meinung nicht sonderlich interessiert. Heute denke ich eher an einzelne Länder oder Regionen."

Widerstandsfähig statt nachhaltig

Auf Einladung von Umweltminister Nikolaus Berlakovich denkt Meadows unter anderem in Wien über Nachhaltigkeit nach - aber dem Minister hat er zu dessen Überraschung gesagt, dass Nachhaltigkeit - Sustainability - nicht ausreichend ist: "Was wir brauchen, ist nicht Sustainability, sondern Resilience, also eine elastische Widerstandsfähigkeit gegen katastrophale Entwicklungen. So wie sich ein Pflanzenbestand gegen einen natürlichen Feind wie eine Krankheit zu wehren bemüht."

1962, als er das erste Mal in Österreich gewesen ist, da habe in den ländlichen Regionen noch kaum jemand ein Auto gehabt, allenfalls hatte man ein Motorrad. Damals wäre noch Zeit zur Umkehr gewesen, auch zehn Jahre später noch, als sein Bericht an den Club of Rome eindringlich auf die Endlichkeit der Rohstoffreserven hingewiesen hat. Da hätte man noch auf ein nachhaltiges Wirtschaftssystem umschwenken können.

"Peak Oil" war bereits 2006

Seither hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt - und bei einigen Rohstoffquellen ist schon spürbar, dass sie versiegen. "Peak Oil", das Maximum an konventioneller Ölförderung, ist nach den Berechnungen von Meadows bereits 2006 erreicht worden - neue Lagerstätten sind nur mehr sehr aufwändig zu erschließen. Wobei Meadows den österreichischen Umweltminister darauf hingewiesen hat, dass er nicht daran glaubt, dass der Ölpreis über die 200-Dollar-Marke und weiter ins Unermessliche steigen wird: "Ich sehe eher ein Szenario wie in Kriegszeiten - da regelt nicht der Markt den Preis, sondern der Staat die Verfügbarkeit. Man wird also Erdöl rationieren, da kann man dann nicht mehr einfach mit dem Auto spazieren fahren."

Ähnlich werde es mit dem Erdgas passieren: Wenn dieses in Russland knapp werde, dann würde es nicht bloß teuer - es würde für Westeuropa wahrscheinlich gar nicht mehr verfügbar sein. Ähnlich werde es wohl mit US-Energieimporten aus Kanada laufen: "Die behalten das einfach für sich, weil sie es selber brauchen. Es muss klar sein: Man kann das nicht alles substituieren. Wenn wir in den 1970er-Jahren gefordert haben, die Entwicklung des Ressourcenverbrauchs zu bremsen, so müssen wir heute davon ausgehen, dass wir ihn drastisch zurückfahren müssen. Und das heißt nach heutigen Begriffen: Der Lebensstandard wird drastisch sinken müssen."

Dass Österreich zumindest anstrebt, Energieautarkie zu erreichen, stellt für Meadows ein hehres Ziel dar, auch wenn er im Detail - etwa bei der Herstellung von Biosprit - Zweifel äußert. Aber im Wärmebereich sei Biomasse am besten geeignet, daheim in New Hampshire heize er auch mit Holz.

Die Kirche als Energiepartner

Stichwort Holzwirtschaft: Da meint er, dass es in Österreich einen potenten Partner für den Aufbau einer langfristig erhaltbaren Energieversorgung gebe: "Nehmen Sie die katholische Kirche. Klöster haben eine jahrhundertealte Erfahrung damit, relativ autark zu wirtschaften, sie haben forstwirtschaftliche Erfahrung und denken in viel längeren Zeiträumen als Ökonomen und Politiker."

Der Politik traut Meadows ohnehin nicht sehr, auch wenn er das Energiekonzept von Berlakovich lobt: "Aber was sagt denn der Wirtschaftsminister? Der hat doch üblicherweise andere Sorgen, der hat ja geradezu die Aufgabe, kurzfristige Erfolge zu erzielen, auch wenn diese langfristig das System belasten."

Und noch eine Portion Pessimismus zum Abschied: "Sie sehen doch, was die Krise bewirkt hat: Das Interesse am Klimawandel ist fast völlig erloschen." (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2011)

3.9.09

Neue und alte Euphemismen

Auf Facebook hat mich eine nette Grünen-Politikerin auf neue, coole Wörter hingewiesen: "Restmut", "fremdschämen", ein anderer Leser hat auch auf "zeitnah" verwiesen.
Mir als älterem Beobachter der Politikszene fallen noch die schönen Wortschöpfungen "Nullwachstum" und "Minuswachstum" (zur kleinen Rezession in den siebziger Jahren), "SchwangerschaftUNTERBRECHUNG" (aus der Strafrechtsreform-Debatte 1972 - als ob die Schwangerschaft nach einer Abtreibung einfach fortgesetzt werden könnte) und "Minderleister" (für unkündbare Tachinierer) ein. Und "Doppelverdiener" war vor 35 Jahren das Schmähwort für Paare, in denen beide Partner verdient haben, was dem damaligen Rollenbild sehr widersprochen hat.

8.7.09

Wenn der Heilige Vater träumt

In liebevoller Rücksichtnahme lebt es sich für alle besser als in einem egoistischen Einzelkampf, in dem jeder nur den eigenen Vorteil maximieren will. Das ist die Kernbotschaft der Enzyklika "Caritas in veritate", die der Heilige Vater ausgerechnet zum Auftakt des Weltwirtschaftsgipfels an seine Kirche und an "alle Menschen guten Willens" gerichtet hat.
Nicht dass diese päpstliche Mahnung so besonders neu und überraschend wäre. Man könnte sie in allerlei Variationen aus den meisten Sonntagspredigten heraushören. Wenn man denn hinginge.
Aber der Besuch des Sonntagsgottesdienstes ist aus der Mode gekommen. Auf die Kirche zu hören erst recht.
Und wir aufgeklärten Menschen sind auch ziemlich ratlos, wenn uns jemand öffentlich sagt, dass Liebe eine wichtige Rolle spielt. Noch dazu, wenn Papst Benedikt darauf hinweist, dass wohlverstandene Liebe eine politische Sache ist.
Freilich: Wie man dem Guten in der Praxis zum Durchbruch verhelfen kann, das kann auch der Heilige Vater nicht sagen. Zwar spricht er positive Beispiele - zivilgesellschaftliches Engagement, internationale Solidarität und Mikrokredite für Kleinstunternehmer - an, er betont aber auch, dass es letztlich an den Persönlichkeiten liegt: "Ohne rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute und Politiker, die in ihrem Gewissen den Aufruf zum Gemeinwohl ausdrücklich leben, ist die Entwicklung nicht möglich."
Dieser päpstliche Traum wäre in guten Zeiten als nette Randbemerkung einer veralteten Institution abgetan worden. Im Moment aber könnte der Papst Gehör finden.

4.5.09

Das Bergwerk im Standard

Ich selber trete wieder an der Spitze der Liste Bergwerk an - und mein Kollege Gerald Baumgartner, der an zweiter Stelle kandidiert, hat mir dieser Tage gezeigt, mit welchem Anspruch wir vor vier Jahren erstmals angetreten sind. Da haben wir - so wie wir das auch dieser Tage getan haben - ein kleines Plakat aufgehängt, auf dem wir unsere Motivation niedergeschrieben haben:

„Wir wollen, dass das, wofür der Standard nach außen steht – nämlich Qualität, Liberalität und Menschlichkeit –, auch wieder innerhalb des Standard gelebt wird. Wir alle machen gerne eine gute Zeitung – aber wir wollen dafür auch die Ressourcen und die Anerkennung, um unseren guten Job gut machen zu können. Wir glauben, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen so denken, fühlen und handeln wie wir.“

Das war damals eine spontane Formulierung von Johanna Ruzicka, die auf unserer Liste kandidiert hat und wieder kandidiert – dieses Bewusstsein ist uns in all den Jahren Verpflichtung gewesen und geblieben, auch wenn Gerald den genauen Wortlaut erst jetzt wieder ausgegraben hat.

Wir haben uns in genau diesem Sinne engagiert – oft mit Erfolg. Vielfach mussten wir als Betriebsräte Kompromisse schließen. Und es wäre unehrlich, es zu verschweigen: Leider sind wir manchmal auch gescheitert. Wir hätten etwa gerne die Ausgliederung der Servicegesellschaft verhindert. Das ist nicht gelungen – aber wir haben eine Betriebsvereinbarung zustande gebracht, die weitgehenden sozialen Schutz gebracht hat.

In den vergangenen Tagen haben mich manche gefragt: Gibt es ein Wahlprogramm, gibt es ein Wahlversprechen?

Ich habe darauf immer wieder sagen müssen, dass es absurd wäre, jetzt das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wir wissen alle, dass es derzeit nicht rosig ausschaut. Wir wissen alle, dass es schon ein Erfolg wäre, wenn wir das Erreichte erhalten können. Wir haben nichts anderes zu versprechen als dass wir uns für jede Einzelne und jeden Einzelnen ebenso einsetzen werden wie wir uns für die Anliegen der gesamten Belegschaft einsetzen werden.

Und wir können darauf verweisen, dass wir das schon bisher so gehalten haben.

· Wir sind die, die nicht abseits stehen, wenn es gilt, Verantwortung zu übernehmen – wir sind die, die den Kopf hinhalten und ihn immer wieder hingehalten haben. Dafür lassen wir uns auch „Betonschädel“ schimpfen, wenn es jemandem Spaß macht, zu schimpfen. Wir haben uns nicht gedrückt, wenn unangenehme Fragen zur Diskussion gestanden sind.

· Wir sind die, die nicht raunzen, wenn es ein Problem gibt, sondern uns der Herausforderung stellen, für die Kolleginnen und Kollegen das Beste herauszuholen.

· Wir sind die, die nicht auf die Gewerkschaft schimpfen, sondern durch aktives Engagement Verbesserungen bewirkten: Höhere Gehaltsabschlüsse, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechtssicherheit im Kollektivvertrag und in unserem Betrieb. Ich selber habe bei drei Kollektivverträgen (Journalisten bei Tageszeitungen, Werbung und Marktkommunikation und kaufmännische Angestellte bei Tageszeitung) in jeweils mehreren Runden die Ehre gehabt, die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. So konnte ich etwa erreichen, dass für jene Kolleginnen und Kollegen, die dem ungeliebten KV für Werbung und Marktkommunikation unterliegen, in diesem Winter eine Einmalzahlung ausgezahlt wurde – und zwar selbst dann, wenn es eine „Aufsaugregelung“ gibt. Unser Ziel als Gewerkschafter ist, dass es mittelfristig für alle Kolleginnen und Kollegen kollektivvertraglich abgesicherte KV-Erhöhungen gibt, auf die auch nicht individuell verzichtet werden kann.

· Wir sind die, die verlässliche Ansprechpartner und Begleiter durch den Arbeitsalltag sind. Uns ist es gelungen, für mehr als zwei Dutzend freie Mitarbeiter reguläre Angestelltendienstverhältnisse durchzusetzen.

· Wir sind die, die auch in Krisenfällen eingegriffen haben und Schlimmes verhindern konnten: In mehreren Fällen ist es mir gelungen, geplante Verwarnungen von Kollegen abzuwenden und sogar die Rücknahme bereits ausgesprochener Verwarnungen zu erreichen.

· Wir sind die, die auch jene nicht allein lassen, die unser Haus verlassen wollen. Mir persönlich ist es durch intensive Beratung gelungen, mehrere Kolleginnen und Kollegen von einer Selbstkündigung abzuhalten. In der Folge ist es gelungen, teils beachtliche Abfertigungssummen für diese Ex-Kollegen herauszuverhandeln.

· Wir sind die, die jene, bei denen es seitens der Geschäftsführung eine Kündigungsabsicht gegeben hat, erst recht nicht allein gelassen haben – stets ist es gelungen, zusätzliche freiwillige Abfertigungen durchzusetzen. Auch wenn die Geschäftsführung seit Wochen versichert, dass keine große Kündigungswelle ansteht und dass es keine Kündigungslisten gibt: Wir wissen, dass wir auf der Hut sein müssen und dass es um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen gilt. Wir wissen auch, dass es keinen Sinn hat, sich vor angeblichen „Kündigungslisten“ zu fürchten. Es gibt diese Listen nicht. Es darf sie nicht geben – wir wollen verhindern, dass sie entstehen. Wir können aktiv aufzeigen, wie wertvoll die Arbeit ist, die von jedem Einzelnen im Standard geleistet wird. Wir können jeden einzelnen Arbeitsplatz verteidigen. Wir können nicht versprechen, dass das immer erfolgreich sein wird. Aber wir können versprechen, dass wir es mit aller Kraft versuchen.

· Wir sind die, die daran festgehalten haben, dass es sich bei der Standard Verlagsgesellschaft und der Standard Service Gesellschaft um einen einzigen Betrieb handelt – wir haben uns gewehrt, damit wir nicht auseinander dividiert werden.

Wir sind die Liste Bergwerk. Ich stehe dafür – und unser Team tut das auch: Wir sind das Team, das bewiesen hat, dass es von all dem nicht nur redet, sondern es dutzendfach umgesetzt hat – im Interesse der Kolleginnen und Kollegen.

Und wir bleiben dabei: Wir wollen ein angstfreies Betriebsklima, in dem die Rechte der Kolleginnen und Kollegen gewahrt werden. Und wir wollen, dass in unserem Haus nicht Print und Online, Verlags- und Servicemitarbeiter gegeneinander ausgespielt werden. Wir wissen: Wir müssen gemeinsam eine gemeinsame Zukunft gestalten – und sie uns nicht von oben vorgeben lassen.

Uns ist auch nach wie vor egal, wo jemand politisch steht – ich habe keinen auf unserer Liste je gefragt, welcher Partei er oder sie nahesteht, denn für mich gibt es nur die Rechte von Arbeitnehmern, die zu schützen sind.

Es geht um viel. Es geht um unsere Arbeitsplätze und um unsere Arbeitsbedingungen.

Deshalb bitte ich im Namen der Kolleginnen und Kollegen von der Liste Bergwerk am 5. und 6. Mai um Eure Stimme.





10.10.08

Tschadische Beamte wollen Geld für Eufor-Flüge

Wilde Sitten auf dem Flughafen von N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad: Eine vom Bundesheer für die Versorgung des EUFOR-Kontingents gecharterte ukrainische IL-76 Transportmaschine wurde offenbar von tschadischen Behörden vom 2. bis 4. Oktober am Rückflug gehindert. Das Verteidigungsministerium bestreitet, dass ein gefordertes „Starthilfegeld" in Höhe von 15.000 Euro gezahlt worden wäre. Das EUFOR-Kommando lehnt solche Zahlungen strikt ab. Schweden soll denoch für Fluggenehmigungen für seine Antonov-124 bis zu 75.000 Euro gezahlt haben, berichten österreichische Soldaten dem Standard. Und sie berichten, dass während der Standzeiten in N'Djamena die Chartergebühr für das ukrainische Flugzeug weiter bezahlt werden musste. Das könnten bis zu 2000 Euro sein - pro Stunde.