13.9.06

Fruchtlose Debatte - OECD-Studie hin oder her...

Gut, dass es den Wirbel um die Bawag gibt, mag sich mancher ÖVP-Abgeordnete gedacht haben - zur Not konnte man immer auf die Probleme des roten Lagers verweisen, wenn Sozialdemokraten in der Nationalratssondersitzung am Dienstag allzu deutlich auf die Probleme des Bildungswesens hingewiesen haben. Nicht, dass das eine mit dem anderen irgendetwas zu tun hätte. Aber es ist nun einmal Wahlkampf - und da will man sich um keinen Preis die eigene Politik zerpflücken oder gar die eigene Bildungsministerin herausschießen lassen. Dabei hatten die Oppositionsparteien gute Munition: Nicht nur den Ärger über eine nach elfeinhalb Jahren mäßig reformwillige Ministerin, der weit in die Reihen der Koalition hineinwirkt. Nicht nur Anträge zur Sprachförderung von Migrantenkindern und zur Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, die sich inhaltlich weit gehend mit dem deckten, was auch die Regierungsparteien zu beschließen geneigt waren.

Sondern vor allem die neue OECD-Studie "Education at a Glance", die just am Vormittag vor der Nationalratssitzung publiziert wurde. Hier kann man nachlesen, dass Österreichs Bildungssystem in alten Bahnen festgefahren ist, weil es die Strukturen aus dem 19. Jahrhundert zwar da und dort anpasst, im Prinzip aber daran festhält. Was damals an Differenzierung den sozialen und ökonomischen Verhältnissen entsprochen hat - viele brauchen nur eine Grundausbildung, einige eine Kombination aus schulischem und technisch-praktischem Wissen und ganz wenige einen akademischen Abschluss - entspricht nicht mehr den Ansprüchen einer Wissensgesellschaft. Es ist schon etwas dran, wenn die OECD vorrechnet, dass hier zu Lande nur 37 Prozent eines Jahrgangs ein Studium beginnen, im Schnitt der Industrieländer aber 53 Prozent.

Jahrelang hat sich Österreich bei der Präsentation solcher Statistiken dahinter versteckt, dass man ja die österreichischen Zahlen wegen anderer Inhalte und höherer Qualitäten des heimischen Systems nicht so einfach mit ausländischen Zahlen vergleichen könne. Das mag früher wohl Berechtigung gehabt haben - inzwischen haben andere Länder aufgeschlossen.

Das aber kann man nicht drei Wochen vor einer Wahl ruhig diskutieren. Die Opposition kann zwar ein paar Zahlen in die Debatte werfen - aber bewirkt wird damit nichts mehr außer einem Abwehrreflex.

Quasi in letzter Minute haben sich die BZÖ-Abgeordneten noch mit der ÖVP zu einem Entschließungsantrag verabredet, in den sie ein paar ihrer uralten Forderungen unterbringen konnten - etwa: "Maßnahmen zu erarbeiten, um eine optimale Zuordnung der Kinder, die die Unterrichtssprache Deutsch nicht ausreichend beherrschen, zu den einzelnen Schulstandorten zu gewährleisten." Keine Sorge, was da beschlossen wurde, ist für die nächste Regierung nicht verbindlich. Lernen konnte man am Dienstag allenfalls: Wenn die ÖVP in der nächsten Regierung die Bildungspolitik verantwortet, geht es dabei einfach weiter wie bisher. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2006)

9.9.06

Gusenbauer meint es ernst

Hinter früheren Kanzlerkandidaten mag die SPÖ mit noch größerer Geschlossenheit gestanden sein. Aber angesichts dessen, was die Sozialdemokratie in den letzten Monaten mitgemacht hat und was er ihr selbst zugemutet hat, muss Alfred Gusenbauers Parteitagsergebnis als Erfolg gelten.

Und als Signal: Jawohl, die SPÖ meint es ernst. Alfred Gusenbauer, der sich in den beiden TV-Konfrontationen dieser Woche mit beinahe staatsmännischer Gelassenheit von seinem jeweiligen Gegenüber abgesetzt hat, soll Kanzler werden. Herrschte zu Beginn des Sommers noch die Stimmung, dass die Wahl angesichts des Bawag-Debakels und der Verärgerung der Gewerkschafter über die mangelnde Solidarität des Parteichefs zum ÖGB ohnehin verloren wäre, so wird nun entschlossen wahlgekämpft - und ein Wahlsieg zumindest nicht ausgeschlossen.

Denn im Kampf um hunderttausende unentschlossene Wähler ist der in Umfragen gemessene Vorsprung der ÖVP keine sichere Bank, sondern wendet sich im Gegenteil gegen die Kanzlerpartei: Viele, die 2002 in Wolfgang Schüssel den stabilen Faktor der Politik gesehen haben, wollen nicht noch mehr von dieser Art von Stabilität - und bleiben womöglich am 1. Oktober daheim oder riskieren eine Stimme für eine andere Partei: Die Wählerströme zwischen der ÖVP und dem grünen, aber auch dem freiheitlichen Lager waren ja nie zu vernachlässigen; und diesmal könnten sie durchaus von der Kanzlerpartei wegführen, weil Wechselwähler eben doch keinen zu starken Kanzler haben wollen.

In der ÖVP beginnt man zu erkennen, dass die Wahl nicht in Umfragen, sondern an der Wahlurne gewonnen werden muss - und dass die (ohnehin schon deutlich unter dem letzten Wahlergebnis liegenden) Umfragewerte noch keinerlei Garantie dafür sind, dass die relative Stimmenmehrheit und der Anspruch auf den Amtssitz am Ballhausplatz gesichert sind.

Sondern eher die eigene Anhängerschaft einlullen. Deshalb wird noch einmal versucht, Spannung zu erzeugen - zum ersten Mal seit den Regierungsverhandlungen 2003 scheint man Alfred Gusenbauer in konservativen Kreisen ernst zu nehmen.

Als Herausforderer, der Schüssel ablösen könnte - ob aus eigener Kraft (also durch eine relative Mehrheit) oder durch eine Koalition mit den Grünen: 35 bis 36 Prozent roter und zehn bis zwölf Prozent grüner Stimmen könnten für eine rot-grüne Wende reichen, lautet das Kalkül. Nur ein klarer Wahlsieg der ÖVP würde dem entgegenstehen, aber an den glaubt man selbst kaum - und hofft dennoch auf eine schwarz geführte Alternative.

Immer weniger geht es dabei um eine Variante, in der das BZÖ oder gar die FPÖ eine Rolle spielen könnten, auch die schwarz-grünen Fantasien blühen in den letzten Wochen weniger üppig.

Stattdessen haben sich in dieser Woche - in zeitlicher und örtlicher Nähe zu den Großveranstaltungen der Großparteien - die Spitzen der Sozialpartner in Bad Ischl zusammengefunden; offiziell nur, um die Stärken und möglichen Korrekturbedarf im österreichischen Sozialmodell auszuloten, inoffiziell aber, um die Botschaft auszusenden, dass ohne sie das Land eben doch nicht regierbar wäre. Nein, nein - hier tage keine Nebenregierung, wurde ein ums andere Mal betont.

Gleichzeitig wurde ein Programm vorgelegt, in dem die schwarze Seite bisherige Tabuthemen wie Ganztagsschulen und die rote Seite Ökoenergie aus Bauernhand akzeptiert hat und beide gemeinsam eine Art langfristiges Regierungsprogramm vorgeschrieben haben.

Anhänger der großen Koalition gibt es in beiden Großparteien zur Genüge - und dieses Szenario will sich aller Wahlkampfrhetorik und der Fokussierung auf das "Kanzlerduell" zum Trotz keiner verbauen.

Für die kleinen Parteien, die diese Woche weniger Aufmerksamkeit bekommen haben, ist gerade der Hinweis darauf eine Chance: Sie müssen in den nächsten drei Wochen zeigen, dass mit ihnen besser zu regieren wäre als mit einer großen Koalition. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2006)