26.1.05

Was die Wehrdienst-Reform bewirkt

Unter dem Titel "Militär ohne richtige Soldaten" habe ich im Standard analysiert, wohin die Reformen im Bundesheer führen. Conclusio: "Die überstürzte Wehrdienstzeitverkürzung bereitet den Weg für ein Berufsheer"
Der Sachverhalt: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel drängt: Grundsätzliche Maßnahmen wie die Verkürzung des Wehrdienstes müsse man "rasch umsetzen", sagte er nach dem Ministerrat am Dienstag. Koalitionspartner Hubert Gorbach blieb da nur mehr der Hinweis auf die Bundesheer-Reformkommission, die empfohlen hatte, den Wehrdienst frühstens 2007 zu verkürzen. Und die Versicherung, dass die FPÖ ohnehin "gesprächsbereit" sei: "Wenn das früher möglich ist, und der Verteidigungsminister das in seinem Bereich so sieht und macht, dann wird man darüber reden."
Der hinhaltende Widerstand der FPÖ gegen eine rasche Verkürzung des Wehrdienstes folgt dem überparteilichen Konsens in der Kommission: Diese hatte festgehalten, dass die Dienstdauer im Bundesheer frühestens dann von acht auf sechs Monate verkürzt werden könnte, wenn kein Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Schengen-Grenze mehr nötig ist. Mit einem Beitritt von Ungarn und der Slowakei zum Schengen- Abkommen wird aber frühestens 2007 gerechnet.
Deutlicher als von Gorbach wird die vorverlegte Verkürzung des Wehrdienstes von FPÖ-Klubchef Herbert Scheibner abgelehnt: "Ich warne davor, in der Sicherheitspolitik Wahlzuckerl zu verteilen beziehungsweise parteipolitisch motivierte Personalpolitik zu betreiben", sagte Scheibner, der selber bis vor zwei Jahren Verteidigungsminister war.
Der Hinweis auf die "parteipolitisch motivierte Personalpolitik" bezieht sich darauf, dass Scheibner ein halbes Jahr vor seinem Abgang dem Bundesheer eine neue Spitzengliederung verschafft hat: Der Generalstab wurde neu strukturiert, ebenso die Organisation des Ministeriums und schließlich die Streitkräfte.
Derzeit gibt es ein Kommando Landstreitkräfte (Generalleutnant Edmund Entacher) mit Sitz in Salzburg, ein Kommando Internationale Einsätze (Generalmajor Günter Höfler) in Graz und ein Kommando Luftstreitkräfte (Generalmajor Erich Wolf) in Langenlebarn, zudem Kommanden für Spezialeinsatzkräfte, Einsatzunterstützung und Führungsunterstützung.
Diese Struktur wird – unter Berufung auf die Erkenntnisse der Bundesheer-Reformkommission – geändert werden. Wobei Verteidigungsminister Günther Platter die Möglichkeit bekommt, alle Kommandantenposten neu auszuschreiben, bei denen sich die Zuständigkeiten wesentlich ändern. So könnten die vom FPÖ-Minister Scheibner berufenen Führungskräfte (darunter der der SPÖ zugerechnete Kommandant der Landstreitkräfte) abgelöst werden.
Aus drei mach zwei
Formell würde das mit einer Straffung der Heeresstruktur begründet: Die Kommanden für Land- und Luftstreitkräfte und Internationale Einsätze würden zu einem einzigen Kommando Einsatzführung zusammengelegt, bei dem die gesamte Verantwortung für alle Einsätze – von jenem an der burgenländischen Grenze über Katastrophenhilfe im In- und Ausland bis zu den Blauhelmen am Golan – läge.
Ausbildung und Nachschub kämen in die Verantwortung eines aufgewerteten (und damit ebenfalls neu auszuschreibenden) Kommando Einsatzunterstützung. Gleichzeitig mit der Verkleinerung der Kommanden käme es auch zu einer Verkleinerung der Truppe: Etwa jeder dritte Verband soll gestrichen werden, von den drei Jägerbrigaden blieben nur zwei, von drei Pionierbataillonen ebenfalls nur zwei. Rund 40 Kasernen könnten so eingespart und verkauft werden – St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) verlangte am Dienstag vorsorglich eine Standortgarantie für die Kopal-Kaserne.

Ist das eigentlich noch die letzte Bundesheerreform, über die da jetzt diskutiert wird - oder schon die nächste? Man tut sich schwer, bei dem Tempo mitzuhalten, in dem in den letzten Jahren an den Streitkräften herumreformiert wurde. Zuletzt gab es alle fünf Jahre eine Umgliederung, die letzte Neuaufstellung - mit ganz neuer Spitzengliederung - erfolgte im Sommer 2002.
Das sollte für dieses Jahrzehnt reichen. Als bald darauf eine Bundesheer-Reformkommission angekündigt wurde, ging es noch um die Perspektive 2010, aber das ist dem Bundeskanzler zu langsam. Er will den Wehrdienst im Wahljahr verkürzen, also wird im Bundesheer Druck gemacht: Die Dienstzeit für Grundwehrdiener muss - gegen jeden Rat der Experten und die ausdrückliche Empfehlung der Kommission - bereits 2006 verkürzt werden; also zu einer Zeit, wo noch tausende Soldaten für den Dienst an der Grenze gebraucht werden.
Eine auf sechs Monate verkürzte Dienstzeit verlangt aber nach einer völligen Umplanung aller Abläufe im Bundesheer: Damit zu jeder Zeit zumindest einige ausgebildete Rekruten zur Verfügung stehen, muss es mehr Einrückungstermine geben. Die Ausbildungszeit wird im Verhältnis zur eigentlichen Dienstzeit länger, der Ausbildungserfolg geringer: Man kann dann einfach nicht mehr die - bei einem Einsatz überlebensnotwendigen - soldatischen Kenntnisse einüben.
Schon gar nicht, wenn die Soldaten neben ihrer eigentlichen Aufgabe für allerhand Assistenzdienste herangezogen werden: Das Dauerprovisorium der Grenzüberwachung dauert ja an, daneben werden Soldaten aber auch für ganz andere Hilfsarbeiten abkommandiert - etwa, um die Skipisten von Kitzbühel zu präparieren.
Das Bundesheer wird immer weniger militärisch.
Dass der einfache Soldat am Schluss der sechs Monate dann nicht voll feldverwendungsfähig ist, wird hinter vorgehaltener Hand zugegeben - und mit dem Hinweis argumentiert, dass man Rekruten ohnehin nicht in gefährliche Situationen bringen will.
Die Eile, mit der diese Reformschritte vorgezogen werden, hat zwei handfeste politische Gründe: Zum einen kann man die Berufsmilitärs mit der Erarbeitung von immer neuen Konzepten, mit Kommissions-, Planungsstabs- und Arbeitsgruppensitzungen beschäftigen - soll keiner sagen, dass sich beim Bundesheer nichts täte, dass nicht ohnehin mit Volldampf gearbeitet und reformiert werde!
Zum anderen gibt jede der Reformen die Gelegenheit, neue Posten auszuschreiben, alte oder unangepasste Funktionsträger zu entfernen und das Bundesheer auch personell nach eigenen Gutdünken umzugestalten. Dieser Versuchung hat noch kein Minister widerstehen können.
Dass das Heer dabei ständig schrumpft, dass seine Einsatzmöglichkeiten ständig sinken und vor allem die Basis schmäler wird, aus der man neue Soldaten für die unteren Führungsfunktionen rekrutieren könnte, wird dabei in Kauf genommen: Wer wird sich noch für fünf oder auch nur für zwei Jahre für eine Unteroffiziersfunktion verpflichten, wenn die nächste Kaserne so weit weg ist, dass man die Familie (und wie auf dem Land derzeit oft üblich: den Nebenerwerb-Bauernhof oder Familienbetrieb) kaum noch sehen kann? Womit will man neue Milizsoldaten anlocken, die einen beachtlichen Teil der im Ausland eingesetzten Truppe bilden?
Die Antwort, dass ein kürzerer Wehrdienst schon per se als attraktiv gilt, wird von der Praxis widerlegt werden: Das Bundesheer wird künftig aus einer weiterhin zur Überalterung tendierenden Gruppe von (beamteten) Berufssoldaten und einer jungen Truppe von Rekruten, die allerdings nur mehr für Hilfsdienste heranziehbar sind, bestehen.
Die nächste Reform kommt bestimmt - und die Führungskräfte, die in die neue Streitkräfteplanung eingesetzt werden, werden damit leben müssen, dass die Wehrpflichtigenarmee nicht mehr funktioniert. Dann kann man gleich dazu übergehen, ein Berufsheer zu planen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2005)