28.10.05

Die Grünen sind nicht in der Krise, aber...

Im Standard habe ich - nach dem nicht ganz so glanzvollen Abschneiden der Grünen bei der Wiener Landtagswahl - analysiert:
Von einer Krise der Grünen zu sprechen ist mehr als übertrieben - denn objektiv gesehen haben sie in Wien zugelegt, sie können zu Recht darauf verweisen, dass das Wiener Ergebnis eines der besten ihrer gesamten Geschichte ist.
Froh werden sie damit aber selber nicht.
Schon gar nicht kann trösten, dass Österreichs Grüne im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung einnehmen. Denn die Erwartungen an die grüne Partei liegen hier auch besonders hoch. Vor allem bei ihren deklarierten Parteigängern.
Man kann sich den Parteichef gut als Vizekanzler, Kanzler, vielleicht auch Bundespräsidenten vorstellen. Andererseits wird den Grünen in Umfragen immer noch vor allem ein Thema zugeschrieben: Umweltschutz - und erst weit, weit dahinter der Schutz der Menschenrechte. Dieses zweite Thema hat viel mit Anstand zu tun, aber mit Anstand allein gewinnt man keine Wahlen - im Gegenteil: Sich auf Menschenrechte für Schwache und Verfolgte zu berufen kann sogar Stimmen kosten.
Das heißt nicht, dass man deswegen den Anstand aufgeben soll. Aber wenn die Grünen wachsen wollen, müssen sie mit anderen Themen wahrgenommen werden als mit dem Protest gegen Umweltzerstörung (ein Thema, das derzeit wenig als Aufreger taugt) oder mit Protest gegen Menschenrechtsverletzungen (was vielen zu kompliziert erscheint).
Überhaupt haben sich die Protestwähler in den letzten Jahren Figuren wie Haider und neuerdings auch Strache zugewendet - ein neues, größere Wählergruppen ansprechendes Thema für Protest müssten die Grünen erst einmal finden. Und wenn das nicht gelingt? Dann müssen sie wenigstens besser als bisher erklären, dass sie umfassende politische Programme haben, die tauglich sind, umgesetzt zu werden.
(DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2005)

26.10.05

Nachlese zum Nationalfeiertag

So schön herausgeputzt wie am Mittwoch dieser Woche hat man das Bundesheer noch nie gesehen. Und so wie auf dieser Parade zum Nationalfeiertag wird man es wohl auch nie mehr sehen: Dem Bundesheer steht eine Reform bevor, die viel tiefer einschneidet als all die Reformschritte der letzten 18 Jahre, in denen es ohnehin schon mehr als halbiert worden ist.
Und was hat man zum 50. Geburtstag aufgeboten? Eine Parade, bei der das Heer noch einmal herzeigen konnte, was es hat - und derzeit auch beherrscht, wenn auch nur in einem sehr bescheidenen Umfang: eine Artillerie vom Feinsten - aber leider ohne Zukunft, weil die Reformer meinen, dass es nie wieder Artilleriegefechte geben wird, wie sie noch im letzten Jahrzehnt auf dem Balkan ausgetragen wurden; eine Panzerwaffe mit modernen Leopard-Panzern - von denen ein Teil abgerüstet werden soll, weil Panzerschlachten im Marchfeld als unwahrscheinlich gelten. Und weiter als bis ins Marchfeld reicht die Vorstellung einer europäischen Sicherheitspolitik eben nicht.
Der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz hat schon Recht, wenn er kritisiert, dass das Bundesheer, das nach der Reform im Jahr 2010 übrig bleiben wird, ganz anders aussehen wird als das, das feierlich über die Ringstraße paradiert ist. Es wird beispielsweise einfache Soldaten ausbilden, die nach sechsmonatiger Dienstzeit nicht einmal feldverwendungsfähig sind und daher für militärische Einsätze nicht herangezogen werden können.
Im Jahr 2010 wird der einsatzfähige Teil des Bundesheers hauptsächlich aus Berufssoldaten (und einer kleinen Reservekomponente) bestehen, die mit schwacher Bewaffnung in Einsätze geschickt werden, deren Aktionsradius und deren Gefährlichkeit immer größer wird. Diese Entwicklungen wurden nobel verschwiegen. Man hat, wie man beim Militär zu sagen pflegt, wenn man sich stärker macht, als man ist, "einen Türken gebaut". Und mit der Parade ein letztes Mal richtig Militär gespielt.

19.10.05

Aussteigen wär' schön, aber...

Nicht einmal drei Prozent der ursprünglich geschätzten 15.000 Angehörigen, die einen schwer kranken oder womöglich todkranken Verwandten daheim haben, nehmen ihr Recht auf Familienhospizkarenz in Anspruch. Das mag sich mit den finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen erklären lassen - diese zu verbessern wurde im Ministerrat beschlossen. Helfen wird es allerdings wenig.
Denn das Problem liegt tiefer: Die meisten Arbeitnehmer scheuen sich, ihren Arbeitsplatz für längere Zeit zu verlassen - schließlich könnte es sein, dass der Sessel besetzt ist, wenn man länger als auf eine Mittagspause weggeht. Dabei zeigt sich in vielen Unternehmen, dass - gesetzwidrig - selbst die Mittagspause durchgearbeitet wird - unbezahlt, natürlich.
Der Trend ist offenkundig: Statt ihre Rechte auf unbezahlte Nichtarbeit zu nutzen, leisten viele österreichische Arbeitnehmer im Gegenteil sogar unbezahlte Überstunden. Für etliche ist Fieber kein Grund mehr, daheim zu bleiben. Andere schenken dem Unternehmen nicht in Anspruch genommene Urlaubstage. Karenzzeiten - nicht nur zur Pflege, sondern auch jene, die kollektivvertraglich für Bildung oder gar für Erholung vorgesehen sind - werden nur sparsamst in Anspruch genommen. Man weiß ja nicht, ob man wirklich dorthin zurückkann, wo von Rechts wegen der Arbeitsplatz erhalten bleiben sollte. Oder ob man nach einer Karenzierung wieder von unten anfangen muss.
Erst wenn Karenzzeiten auch in der Praxis kein Karrierehindernis mehr darstellen, werden sie auch in Anspruch genommen werden. Das aber ist eine Frage der Kultur unserer Arbeitswelt. Sie zu verbessern, würde vor allem auch jungen Familien helfen, in denen Kinderwünsche (trotz Kinderbetreuungsgeld) immer noch der Karriere halber zurückgestellt werden.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2005)

9.10.05

Auch im Burgenland ein Zug nach Links

Eine Woche nach der Steiermark-Wahl haben die Burgenländer ihren Landtag neu gewählt: Erstmals seit 1982 als der Waffennarr Theodor Kery mehr als 53 Prozent erreichte, hat die SPÖ wieder eine absolute Mehrheit erreicht. Im Standard habe ich dazu geschrieben:
Auf den ersten Blick sieht im Burgenland alles gleich aus wie in der Steiermark: Die SPÖ erreicht ihre Wahlziele, die ÖVP verfehlt sie. Tatsächlich: Landeshauptmann Niessl hat sich zum Landeskaiser entwickelt, er hat die Strahlkraft desjenigen, der ganz alleine das Land zu repräsentieren imstande ist. So wie ein Erwin Pröll oder ein Michael Häupl, bei denen oft nicht einmal im eigenen Bundesland bekannt ist, wer eigentlich die Herausforderer sind. Wie sie heißen, oder gar: was diese Herausforderer anders machen wollen als der Landeshauptmann.
Waltraud Klasnic hatte dieses Stimmungsmonopol verloren. Die steirische SPÖ hatte in der Vorwoche bereits eine ähnlich gute Stimmung und bundespolitischen Rückenwind auf ihrer Seite.
Wobei im Burgenland die Bundespolitik bei konkreten Wahlentscheidungen womöglich eine geringere Rolle gespielt haben dürfte als in der Steiermark. Dies aber kann auch die Kanzlerpartei ÖVP nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grundströmung derzeit eher nach links geht.
Und dies haben besonders die wechselbereiten Protestwähler, die in den vergangenen 20 Jahren so zahlreich zu den Freiheitlichen eines Jörg Haider geströmt waren, intuitiv erfasst. Protest ist heute deklariert links. Das ist eine Botschaft, die auch die Grünen erst einmal verdauen müssen. Jahrelang hatte nämlich gegolten, dass ein grüner Erfolg nur dann denkbar ist, wenn die Grünen eben nicht als deklarierte Linkspartei auftreten. Dazu kommt, dass den Grünen in allen Umfragen vor allem Kompetenz im Umweltschutz zugebilligt wird. Mit diesem Thema sind sie auch im Burgenland und in der Steiermark angetreten - ohne viel bewegen zu können. Jetzt zeigt sich, dass für die Grünen eine Öffnung zu anderen Themen - Menschenrechte, soziale Ungleichheit, Frauenpolitik - unbedingt notwendig ist, um den Ansprüchen auf das soziale Gefühl, das die SPÖ eines Michael Häupl, aber auch eines Alfred Gusenbauer vermittelt, Paroli bieten zu können.
Und die ÖVP? Sie hat im Burgenland ihr Wahlziel ganz eindeutig verfehlt. Hier ist sie eine Partei, die - wie in ÖVP-regierten Bundesländern die SPÖ - als konstruktive Kraft wohl gelitten ist, im Poker um die Macht aber nur eine untergeordnete Rolle spielen kann. Bundespolitisch bedeutsam ist allenfalls, dass die ÖVP (anders als in der Steiermark) im Burgenland immerhin einen kleinen Zugewinn an Stimmen und Prozenten erreichen konnte.
In der Wiener ÖVP-Zentrale wird natürlich versucht, dies als eine Art Bestätigung der Politik von Wolfgang Schüssel und als einen wesentlichen Motivationsschub für die anstehende Wien-Wahl und den vom Kanzler bereits eröffneten Nationalratswahlkampf zu interpretieren. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass das bürgerliche Lager insgesamt schon wieder geschwächt worden ist und die ÖVP bürgerliche Stimmen nicht so leicht zurückholen kann wie 2002.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.10.2005)

7.10.05

Eine Chance ganz links

Dass ich einmal etwas Positives an den Kommunisten entdecken könnte, hätte ich mir noch vor Kurzem nicht einmal träumen lassen. Dann, nach der Steiermark-Wahl vom 2. Oktober 2005 ist mir folgendes (für einen Kommentar im Standard) eingefallen:

Keine Partei kann sich leisten, soziale Anliegen in ihrer Programmatik ganz zu ignorieren. Aber wenn es um die Interessen von einfachen Arbeitern, von Arbeitslosen oder von Pensionisten geht, dann gilt die SPÖ üblicherweise als die erste Adresse. Sie hat über Jahrzehnte quasi das Markenmonopol für sozialen Fortschritt aufgebaut - viele Reformen der Kreisky-Ära danken ihr die treuen Wähler heute noch.
Dass die KPÖ noch viel weiter gehende Forderungen nach Umverteilung erhoben hat, ist bisher ohne Bedeutung geblieben. An der KPÖ wollte niemand wirklich anstreifen - mögen ihre sozialpolitischen Vorschläge auch noch so interessant gewesen sein. Für die meisten Österreicher sind die Kommunisten eben immer noch dieselbe Partei, die Stalins Massenmorde, Ulbrichts Bau der Berliner Mauer und Breschnews Invasion des Warschauer Paktes in der CSSR gutgeheißen hat.
Ernest Kaltenegger hat diese Vorbehalte gegen seine Partei nicht mit einem Schlag ausräumen können. Vielmehr hat er sie bei einzelnen Wählern, zunächst in vielen persönlichen Beratungsgesprächen zur Wohnsituation im damals von der SPÖ geführten Graz, nach und nach in den Hintergrund gedrängt. Kal^tenegger hat damit gezeigt: Es gibt einen Bedarf für eine konkrete linke Politik.
Dass dieser politische Markt von der SPÖ nicht mehr komplett abgedeckt wird, zeigt das Faktum, dass der Aufstieg des sanften Kommunisten Kaltenegger in einer rot verwalteten Stadt begonnen hat und in Konkurrenz zu einer stark zulegenden SPÖ auf Landesebene fortgeführt worden ist. Ganz links könnte neben der SPÖ Platz für eine scharf profilierte Sozialpartei sein - ob das unter der belasteten Marke KPÖ bundesweit funktioniert, ist aber höchst zweifelhaft.
(DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2005)