28.3.05

Wer darf als Vorbild gelten?

Der Österreichische Gewerberverein ist immer wieder für eine rechte und richtige Meinung gut - seine jüngste Kritik am Medienlob (im Spiegel) für Studienabbrecher verdient aber eine besondere Würdigung. Gerade deshalb, weil ich selber mein Studium nie ernsthaft betrieben und auch nicht abgeschlossen habe, kann ich mir ein Urteil erlauben: Ja, man kann es auch ohne Studienabschluss zu etwas bringen. Daraus die Regel abzuleiten, man wäre gerade deshalb erfolgreich, weil man sein Studium abbricht, ist aber etwa so, als wollte man erklären, es sei generell richtig, bei Rot über die Kreuzung zu gehen.
Grundsätzlich findet der ÖGV, dass jeder besondere Wertschätzung verdient, der ohne Studium in hohe "seriöse" Positionen aufgestiegen ist. "Jedenfalls mehr Applaus, als jene, die mit ihren Titeln protzend sogar den Zahnarzttermin leichter erhalten. Aber jene, die noch in Ausbildung stehen, wissen ja nicht, ob auch ihnen eine Traumkarriere bevorsteht. Denn eines ist fix. Ohne Uni-Abschluss ist jede Position nur mit doppeltem Einsatz zu erreichen", schreibt ÖGV-Generalsekretär Herwig Kainz.

14.3.05

Haiders altes Muster

Zur Not und wenn man ihn recht schön bittet, würde Jörg Haider die Führung der FPÖ wieder übernehmen. Wenn und Aber? Ja, vielleicht auf seiner Seite: Da gibt's ja noch die Familie (zu der die derzeitige Parteichefin Ursula Haubner gehört), die er großzügig mitreden lassen würde; und hoffentlich flüstert nicht wieder ein großer Unbekannter, dass Haider auf die Familie aufpassen sollte.
Auf der anderen Seite soll möglichst niemand mitreden. Aber das ist ja das alte Muster, nur von Mal zu Mal offener ausgesprochen: Ein Parteichef der Freiheitlichen braucht offenbar in guten wie in schlechten Zeiten ein volles Durchgriffsrecht, eine Kompetenz zur Letztentscheidung, eine Generalvollmacht - oder wie die anderen Instrumente alle heißen, die Haider und die Seinen immer und immer wieder verlangt, bekommen und dann doch nicht richtig genützt haben.
Das war schon zu Beginn der Ära Haider so: Haider trennte sich abwechselnd einmal von Parteigängern, die den national-liberalen Kern der FPÖ dargestellt hatten, dann wieder von jenen, die ihm selber bedingungslos gefolgt waren. Gelegentlich wurden sogar Leute geopfert, die beide Kriterien erfüllt haben, wie der stramme Rechte Ewald Stadler, der immerhin das aktuelle Parteiprogramm nach Haiders Zurufen verfasst hat. Zwischen solchen Säuberungswellen zeigte Haider abwechselnd Enttäuschung und Zorn über die angebliche Faulheit und die Misserfolge seiner Mitstreiter - in der TV-"Pressestunde" war Parteichefin Haubner ziemlich überrascht, als ihr ihr eigener Bruder als einer vorgeführt wurde, der "aus der ersten Reihe, fußfrei" kritisiert. Ihr ist offenbar nicht aufgefallen, dass der Jörg schon immer so war. Aber im Zweifel folgt sie ihm halt - anstatt ihn auszuschließen, wie es anderen Parteikritikern passiert. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.03.2005)

13.3.05

Politische Bildung: Mangelhaft!

Im Standard konnte ich heute berichten, wie wenig die Österreicher von all der Politik verstehen, über die wir als Journalisten tagtäglich berichten. Ich meine: Welche Parteien in der Bundesregierung vertreten sind, das sollte sich ja herumgesprochen haben - waren da nicht enorme Proteste gegen schwarz-blau vor fünf Jahren? Ist offenbar alles verdrängt und vergessen: Mehr als jeder zehnte Österreicher weiß nicht, dass in der Bundesregierung Parteigänger der ÖVP sitzen, beinahe drei von zehn Befragten nehmen die Freiheitlichen als Regierungspartei nicht mehr wahr. Das geht aus einer market-Umfrage für den STANDARD hervor, die noch vor Ausbruch der aktuellen Turbulenzen in der FPÖ durchgeführt wurde.
market-Studienleiter David Pfarrhofer verweist darauf, "dass offenbar ein beachtlicher Teil der Österreicher die aktuellen politischen Entwicklungen so wenig verfolgt, dass die reine Wissensfrage, welche Parteien in der Bundesregierung vertreten sind, nicht richtig beantwortet werden kann. Da stellt man dann auch fest, dass 18 Prozent meinen, die SPÖ stelle derzeit Mitglieder der Bundesregierung, obwohl das bekanntlich seit fünf Jahren nicht mehr der Fall ist. Sieben Prozent meinen sogar, dass die Grünen mitregieren."
Und das sind die Parteien, die nach Meinung der Österreicher Österreich regieren:
  • ÖVP - korrekt - 89 Prozent
  • SPÖ - falsch - 18 Prozent
  • FPÖ - korrekt - 72 Prozent
  • Grüne - falsch - 7 Prozent
  • weiß nicht / keine Angabe (trotz Nennung aller Parteien) - 8 Prozent

Acht Prozent konnten in der market-Umfrage keine einzige Partei als Regierungspartei benennen. Besonders stark ist das politische Unwissen bei jüngeren und bildungsfernen Befragten verbreitet: Dort wird die SPÖ in hohem Maße als Regierungspartei gesehen und die FPÖ besonders schwach wahrgenommen.Auffallend sei auch, dass etwa jeder fünfte deklarierte SPÖ-Wähler die SPÖ als Teil der Bundesregierung vermutet; dasselbe gilt auch für jeden siebenten ÖVP-Wähler.
Und das sind die Parteien, die nach Meinung der Österreicher in Zukunft Österreich regieren sollten:
  • ÖVP - 62 Prozent
  • SPÖ - 39 Prozent
  • FPÖ - 27 Prozent
  • Grüne - 18 Prozent
  • weiß nicht / keine Angabe (trotz Nennung aller Parteien) - 17 Prozent

ÖVP und SPÖ liegen auch deutlich vorne, wenn es um die Frage geht, welche Parteien in einer künftigen Bundesregierung Ministerposten besetzen sollen: 62 Prozent wollen, dass die ÖVP in der Regierung vertreten ist, 39 Prozent sagen dasselbe von der SPÖ.
17 Prozent nennen allerdings gar keine der vier Parlamentsparteien als wünschenswerte Regierungsparteien.

Pfarrhofer: "Wir haben nicht klar nach Koalitionsmodellen gefragt, aber der Wunsch nach einer Regierungsbeteiligung der ÖVP und in etwas geringerem Maße der SPÖ ist sehr deutlich."
Wobei Pfarrhofer den Wunsch, die ÖVP in der nächsten Regierung zu haben, relativiert: "Die Leute nehmen gerne an, dass das Gewohnte weitergehen soll, daher bekommen die derzeitigen Regierungsparteien in dieser Fragestellung einen besonders großen Bonus. Selbst die FPÖ, die ja in allen Umfragen unter zehn Prozent liegt, wird im Sinne der Kontinuität von jedem dritten ÖVP-Wähler, aber auch von jedem siebenten SPÖ-Wähler in der nächsten Regierung gewünscht."

Wenig Wechselwille
Ein weiteres Indiz ergibt sich aus den Antworten auf die Frage: "Haben Sie den Eindruck, dass sich unser Land so alles in allem in die richtige Richtung entwickelt oder ist dies eher nicht der Fall?"
  • 57 Prozent sagen, das Land entwickle sich richtig - ein scharfer Kontrast zu den 39 Prozent, die diese Meinung im von Streiks und Pensionsreform geprägten Herbst 2003 vertraten.
  • 37 Prozent sagen, die Richtung wäre "eher nicht" richtig, aber selbst bei Oppositionswählern ist die Mehrheit für diese Haltung nicht sehr groß.

9.3.05

Wähleraustausch

Die Wählerstruktur der FPÖ war in den letzten beiden Jahrzehnten von Wechselwählern geprägt - von Leuten, die Jörg Haider von anderen Parteien weglocken konnte, aber auch von Wählern, die von Haider vertrieben wurden. Diese zweite Gruppe ist lange weniger beachtet worden, weil es bis 1999 eine immerhin positive Bilanz des Wähleraustauschs gab.
Nach fünf Jahren in der Bundesregierung ist das anders. Die FPÖ-Wählerschaft ist kleiner, aber nicht überschaubarer geworden: Da gibt es einerseits die "ideologischen Tiefwurzler", wie sich Andreas Mölzer selber gerne sieht, eine bei näherem Hinsehen allerdings auch wieder recht vielfältige Gruppe aus traditionsverbundenen Nationalen und bürgerlich-antiklerikalen Liberalen. Dann gibt es die Protestwähler, die ein starkes Unbehagen verspüren, weil sie sich von Migranten und Kriminellen, vom eigenen Chef und überhaupt von "denen da oben" bedroht fühlen - aber "die da oben" sind eben seit fünf Jahren (auch) die Freiheitlichen; deren dritte Gruppe dann auch pragmatisch den einmal eingeschlagenen Regierungskurs halten will.
Wirklich zusammenhalten kann man diesen Haufen nur, wenn man die inhaltlichen Unterschiede herunterspielt und gleichzeitig Erfolg ausstrahlt - wie das Haider jahrelang vorgeführt hat: Auch in der Oppositionszeit haben sich Enttäuschte massenweise abgewendet, aber es sind eben mehr Wähler dazugekommen. Zuletzt, 2002, hat dann die ÖVP viele dieser Enttäuschten auffangen können. Und man wird den Eindruck nicht los, dass in der Volkspartei mit gewisser Häme darauf gewartet wird, dass da noch ein paar weitere Freiheitliche kommen.
Andererseits: Viele können es nicht mehr sein - und manche, gerade vom jetzt gescholtenen nationalliberalen Flügel, werden den Weg zur christlichsozialen ÖVP auf keinen Fall antreten.

Erstveröffentlichung in: Der Standard, 10. März 2005

4.3.05

Studieren unter Druck

Wunderbare Welt der Studiengebühren! Seit die Koalition die Studenten zur Kasse bittet, sind die ja viel, viel fleißiger geworden. Sie studieren angeblich geschwinder - "Tendenz zur Abschlussorientierung" nennt man das im Bildungsministerium. Und sie haben vor lauter Fleiß auch weniger Zeit, über die Zustände an den Unis zu murren, die das Studientempo ziemlich bremsen können - was für das Ministerium wohl ein angenehmer Nebeneffekt ist.
Also: Jubel über den Rekord bei der Zahl der Absolventen! Der Cartellverband (CV) rechnet auch noch vor, dass jetzt die "Lernwilligen" die Unis übernommen hätten - "Bummelstudenten" können sich ein Studium ja gar nicht mehr leisten. Man muss also nur ein wenig finanziellen Druck machen (das Etikett "sozialverträglich" wird vorsichtshalber drangehängt), schon verschwinden jene Studenten aus der Statistik (und möglicherweise überhaupt aus dem akademischen Betrieb), die im Laufe eines Jahres keine einzige Prüfung ablegen.
Schaut man etwas nüchterner hin, ist die Meldung über die Steigerung der Absolventenzahlen um 7,3 Prozent allerdings längst nicht so sensationell. Und schon gar nicht ist sie ein Beleg dafür, dass Studiengebühren den studentischen Alltag verbessern und die akademische Strebsamkeit erhöhen.
Denn die jetzt gestiegenen Absolventenzahlen errechnen sich einfach aus dem Anstieg der Studienanfängerzahlen der späten Neunzigerjahre plus der seither verstrichenen Studienzeit: Im Jahr 1998 gab es um 9,2 Prozent mehr Studienanfänger, im Jahr 1999 noch einmal um 8,8 Prozent mehr - abzüglich einiger Dropouts verlässt diese Generation von Studentinnen und Studenten jetzt die Uni mit einem akademischen Abschluss, den sie wohl auch ohne Studiengebühr erreicht hätte.
Erstveröffentlichung in:

1.3.05

Rezepte der Prohibition

Geht es nach den Vorstellungen des EU-Kommissars für Verbraucherschutz, Markos Kyprianou, wird man künftig einen Ausweis herzeigen müssen, wenn man ein Glas Wein bestellt. Und dass man Bier in jedem Lebensmittelgeschäft bekommen kann, ist dem Herrn Kommissar auch nicht recht: Während ganz Europa die Privatisierung der Unternehmen propagiert, schwebt ihm ein staatliches Alkoholmonopol wie in Schweden, Ontario oder Colorado vor. Höhere Steuern sowieso.
Ein bisserl klingt da die Sehnsucht nach der in den USA eineinhalb Jahrzehnte lang praktizierten Prohibition durch. Nach amerikanischem Vorbild soll es jungen Leuten verboten werden, Alkohol zu kaufen oder in Lokalen zu trinken. Na, da kann man sich ja auf etwas gefasst machen: Statt dass Jugendliche im Familien- und Freundeskreis, in gepflegten Gaststätten und unter der sozialen Kontrolle anderer Gäste den Umgang mit Alkohol lernen, werden sie in unkontrollierbare Privatzirkel gedrängt, wo dann eben konsumiert wird, was verfügbar ist.
Die Erfahrungen in den USA - dort liegt das "Legal Drinking Age" generell bei 21 Jahren, Herr Kyprianou peilt zunächst einmal "nur" 18 an - zeigen, dass es für Studenten leichter ist, an Drogen zu kommen als an Bier. Und dass junge Leute, die sich - mithilfe älterer Freunde - illegal Alkohol beschaffen, eben nicht zum Bier oder G'spritzten greifen, sondern zu möglichst hoch konzentriertem Schnaps. Der wirkt ja stärker.
Nun stimmt es, dass Alkohol eine Droge ist, deren Missbrauch gefährlich ist. Noch gefährlicher ist aber, sie aus der sozialen Kontrolle zu verdrängen. Junge Leute - dieselben, denen man gerne sexuelle Freizügigkeit und womöglich auch das Wahlrecht zugestehen will - müssen lernen können, mit der in unserer Kultur verankerten Droge Alkohol umzugehen.