Es geht um Millionenbeträge, um hunderte Millionen Euro. Versucht ein Politiker, diese für die Verbesserung der Pflegesituation nötigen Beträge von der großen Welt der Bundes- und Landesbudgets auf die Haushalte von Familien herunterzurechnen, kommt er auf 3000 Euro im Monat – und die hat man in den meisten Familien halt auch nicht übrig.
Es stimmt schon, was man Arbeitsminister Martin Bartenstein vorrechnet: Seine rechtlich saubere Pflegelösung mit Rundumbetreuung funktioniert nur, wenn sie subventioniert wird.
Darüber kann man diskutieren – aber sinnvollerweise muss man zuerst einmal klarstellen, dass es in der Pflegedebatte eben nicht nur um Geld geht. Sondern um die Bedürfnisse von Menschen, die ihren Alltag eben nicht allein bewältigen können.
Diese Bedürfnisse kommen in der Diskussion verdächtig selten vor. Werden sie doch einmal erwähnt, dann sind sie nicht von Betroffenen formuliert – vielmehr werden stereotype Behauptungen über angebliche Notwendigkeiten immer wieder wiederholt.
An erster Stelle steht dabei die Annahme, dass gerade ältere Menschen unbedingt daheim gepflegt werden müssten – und die Unterbringung in einem Heim allenfalls in jenen bedauerlichen Ausnahmefällen zumutbar wäre, wo leider keine Familie vorhanden ist, die die Pflege übernehmen könnte. Das stimmt natürlich nicht: Tatsächlich gibt es heute moderne, durchaus heimelig gestaltete Pflegeheime, in denen gebrechliche Klienten ein weitgehend unbeschwertes Leben genießen können – mit eben so viel Betreuung und Pflege, wie im jeweiligen Moment gerade notwendig ist.
Die zweite Annahme unterstellt genau das Gegenteil: Vielfach würden gerade die Familien dazu neigen, den lieben, leicht behinderten Verwandten auszubeuten. Sprich: Dessen Pension plus Pflegegeld kassieren, aber dann eben doch nicht im nötigen Umfang betreuen. Daher wird nach einer Professionalisierung der Pflege gerufen – wobei ausgeblendet wird, dass es eben der Mangel an professionellen und leistbaren Pflegern ist, der Pflegelücken entstehen lässt.
Tatsächlich sind Familien in vielen Fällen überfordert, wenn es darum geht, den gestern noch kreuzfidelen Opa nach dessen Schlaganfall als bettlägerigen, an der Welt verzweifelnden Grantscherben heute und bis in eine nicht absehbare Zukunft daheim zu betreuen.
Man muss sich eingestehen, dass viele Betreuungs- und Pflegeleistungen in der heutigen Familien- und Arbeitswelt einfach nicht mehr daheim erbracht werden können. Was zur dritten zu hinterfragenden Annahme führt: Geht es denn wirklich darum, Betreuungs- und Pflegefällen rund um die Uhr beizustehen? In manchen Fällen (in der höchsten Pflegestufe) wahrscheinlich schon, in den meisten aber nicht.
Vielfach könnte es gelingen, die Pflegebedürftigkeit des Einzelnen zu reduzieren, wenn man seine Eigenständigkeit fördert – worauf gerade die Physiotherapeuten hingewiesen haben: Viel zu oft werden die Klienten „ins Bett gepflegt“, also zu Unselbständigkeit und Bettlägerigkeit geradezu angehalten, weil das einfacher zu verwalten ist. Dies übrigens nicht nur in manchen Heimen: Der verwirrte, sonst aber rüstige Verwandte, der aus einer plötzlichen Eingebung überraschend auf die Straße läuft, macht mehr Sorgen als einer, der in mehr oder weniger übertragenem Sinne „ans Bett gefesselt“ ist.
Wenn nun Arbeitsgruppen darüber verhandeln, wie genügend Pflege und Betreuung organisiert werden kann, dann sollte man – vielleicht mit dem einen oder anderen Betroffenen – gleich auch darüber reden, welche Pflege denn gebraucht wird. Ohne Scheu davor, vielleicht ein paar Heime mehr errichten zu müssen, ein paar mobile Schwestern (anständig) zu bezahlen und das alles in die Rechnung einzubeziehen.
Jawohl, das wird etwas kosten. Aber wenn die Qualität stimmt, wird es auch kaum Bedenken gegen eine eigene Pflegeversicherung geben. Stimmt sie nicht, bleibt die Skepsis berechtigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.2.2007)