28.10.11

Wie Grüne Parteisteuern Bürgerinitiativen subventionieren

Umweltschutz funktioniert heute anders als vor 20 Jahren – aber manche Mechanismen bleiben: Bürgerinitiativen sind das wichtigste Gegengewicht zu potenziell die Natur und die Umwelt bedrohnenden Projekten geblieben. Sie sind „die Guten“, ihre Anliegen werden von Grün-Politikern nach Kräften unterstützt. Und diese Kräfte sind aus einem Topf gespeist, der seit 20 Jahren aus den Bezügen der Nationalratsabgeordneten der Grünen monatlich wiederaufgefüllt wird.
Der aktuelle Bericht des Vereins BIV zur Unterstützung von Bürgerinitiativen weist 51.846,51 Euro an Beiträgen der Abgeordneten aus – über zwei Jahrzehnte haben sich die Beiträge auf 718.174,28 Euro summiert, 635.559,64 sind bisher für Bürgerinitiven ausbezahlt worden. Sehr oft mit weit über den Anlassfall hinaus wirkenden umweltpolitischen Effekten, sagt Marlies Meyer, der Klubjuristin der Grünen, die die Geschäfte des Vereins führt: „Wo wirtschaftliche Unvernunft auf initiative Bürger trifft, da sind Erfolge möglich.“
Als Beispiel nennt sie den Anrainerwiderstand gegen die Wiederinbetriebnahme des Kohlekraftwerks Voitsberg durch die A-Tec von Mirko Kovats: Hier hat eine Bürgerinitiative so lange Rechtsmittel eingelegt, bis sich herausgestellt hat, dass das Projekt ohnehin wirtschaftlich sinnlos ist. Nun soll das Krafwerk demontiert werden. Wäre es nach Kovats und der steirischen Landespolitik gegangen, wäre das alte Braukohlekraftwerk auf (importierte) Steinkohle umgerüstet worden – entgegen den erklärten energiepolitischen Zielen des Bundes.
Unter die Erfolge des Jahresberichts 2010 zählt Meyer unter anderem die Verhinderung des Ausbaus des ÖBB-Kraftwerks Spulersee in Vorarlberg, der Auswirkungen auf das Lechtal gehabt hätte. Umweltschützer und die Alpgemeinschaft hatten gegen das Projekt eine Beschwerde bei der EU-Kommission erhoben, woraufhin eine innerstaatliche Genehmigung gar nicht erst erteilt wurde.
Maria Scheiber, Tiroler Landtagsabgeorndete der Grünen und Aktivistin der Bürgerinitiative „ObAcht Lechtal“ zieht daraus einen allgemein gültigen rechtspolitischen Schluss: „Meinen Infos zufolge hat die Beschwerde ihre Aufgabe hervorragend erfüllt, über möglichen Genehmigungen durch Bund und Länder wie ein Damoklesschwert zu schweben. Jede Bescheid ausstellende Behörde musste duch sie von vorneherein mit einer Überprüfung ihrer Entscheidung durch die EU rechnen.“
Auch wenn die EU nicht immer der natürliche Verbündete der Umweltschützer ist – in vielen Fällen hat sie deren Anliegen genutzt. Wobei sich Meyer durchaus noch Verbesserungen des EU-Rechts wünscht. In einem anderen vom Verein BIV mitfinanzierten Rechtsstreit – in der Sache ging es um die Durchsetzung eines UVP-Verfahrens für den Skylink-Terminal am Flughafen Wien – zeigte sich, dass die Bürger gegenüber ihrem Heimatland im Nachteil sind, wenn sie ein Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH einleiten: Die Republik Österreich konnte erfolgreich geltend machen, dass ihre Schreiben an den EuGH der klagenden Partei (also den initiativen Bürgern) nicht bekannt gemacht werden dürfen.
Meyer erklärt dem Standard: „Die EU-Verordnung über den Zugang zu Dokumenten ist refombedürftig. Im EU-Parlament nimmt sich unsere Abgeordnete Eva Lichtenberger der Sache an.“
Generell ist das Rechtssystem aber viel besser auf den Umgang mit engagierten Bürgern eingestellt als früher, sagt Ronald Schmutzer, Vorstand des BIV. Und damit müssten sich auch die Bürgerinitiativen abfinden: „Ich sage den Leuten immer: ‚Legt jedes Wort auf die Goldwaage, wenn Ihr einen Vorwurf erhebt!‘“ Allzu rasch können sich Bürgerinitiativen nämlich eine Ehrenbeleidigungsklage einhandeln. Schließlich hätten nicht nur die Bürgerinitiativen, sondern auch die Projektwerber juristisch aufgerüstet. Seit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Jahr 1993 hat sich die Qualität der Anträge wesentlich verbessert: Da es vom Gesetz vorgeschrieben ist, prüfen die Planer bereits im Vorfeld die Umweltauswirkungen ihrer Projekte, man weiß in vielen Fällen, wo man als Gegner ansetzen kann.
Aber man muss oft auch Grenzen einsehen: „Es gehört zu den schwierigsten Sachen, eine Bürgerinitiative, die zu Recht empört ist, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Großprojekt geplant ist, davon zu überzeugen, dass sie rechtlich keine Chance hat. Und das, obwohl Anwälte, die ja jedenfalls am Verfahren verdienen, der Bürgerinitiative vielleicht bessere Aussichten einzureden versuchen“, sagt Schmutzer dem Standard.
„Die Gegenseite ist nicht mehr automatisch so ‚böse‘ wie früher, sie hat sich mit Umweltauflagen meist schon auseinandergesetzt“, sagt auch Meyer. Aber was im Einzelfall umweltgerecht erscheint, kann im größeren Zusammenhang dennoch falsch sein – wenn etwa eine Straße umweltschonend geplant wird, ein übergeordneter Verkehrswegeplan aber fehlt. An diesem Beispiel verzahnt sich das Bürgerengagement mit der parlamentarischen Arbeit der Grünen.

19.10.11

Erinnerungen des VfGH-Präsidenten

Was er erreicht hat, hat er durch Protektion erreicht - aber eben nicht nur durch Protektion. Ludwig Adamovich spricht es offen an, dass sein erster Job bei der niederösterreichischen Landesregierung guten Beziehungen zu verdanken war, sein rasche Umstieg in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ebenso. Allerdings: Gute Beziehungen hatten andere auch; und der "junge Adamovich" stand stets unter strenger Beobachtung, gemessen wurde er an der juristischen Brillanz seines strengen gleichnamigen Vaters (1890-1955), der seinerzeit als einer der brillantesten Verfassungsjuristen gegolten hat.

Und er hat diesem keine Schande gemacht, im Gegenteil: Wie der Vater stieg Adamovich zum Professor in Graz und schließlich zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs auf. Und das in einem politischen Umfeld, das für den im Jahr 1956 der ÖVP beigetretenen Juristen nicht unbedingt günstig war. In seinen Erinnerungen gibt es daher viel Lob für den roten Kanzler Bruno Kreisky und dessen Staatssekretär Franz Löschnak - und eine sehr differenzierte Sicht auf die ÖVP. Elegant verpackt er die Häme, mit der er manche Spitzenpolitiker betrachtet, in ein Lob für Josef Klaus: "Ein Idealist mit durchaus positiver Beziehung zur Macht und der erste und bisher einzige Bundeskanzler mit echter Beziehung zum Recht". Wenn der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident so etwas schreibt, dann müssten sich die noch lebenden (Ex-)Kanzler schämen.

Tun sie wahrscheinlich nicht. So wie wohl auch in der ÖVP die Passage überlesen wird, in der Adamovich von der ideologischen Überzeugung schreibt, aus der er der ÖVP beigetreten ist - und von der Entideologisierung der Partei zur Jahrtausendwende, sprich: unter Wolfgang Schüssel.

Das war dann auch die Zeit, zu der Adamovich den größten Angriffen ausgesetzt war: Es ging um die Ortstafelfrage, in der sich Adamovich gegen den Populismus des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider ("ein Spieler, aber kein Neonazi") stellte - und sich vom ÖVP-Klubobmann Andreas Khol den Vorwurf gefallen lassen musste, er betreibe "unnötige Dramatisierung". Nicht gedankt wurde ihm, dass er während der „Sanktionen“ der 14 EU-Staaten seine Heimat vor dem Europarat-Ausschuss des französischen Senates verteidigt hat. Und schließlich widerfuhren ihm gerade in jüngster Vergangenheit als Vorsitzendem der „Evaluierungskommission“ in der Kriminalsache Natascha Kampusch dramatische Erlebnisse, auch mit der Strafgerichtsbarkeit. So sind seine Erinnerungen nicht nur ein unschätzbares Zeitzeugnis österreichischer und europäischer Geschichte, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Frage von Macht und Machtmissbrauch und ein Plädoyer für neue Standards in unserer Rechtskultur.

Ludwig Adamovich: "Erinnerungen eines Nonkonformisten", Seifert-Verlag, 207 Seiten, € 22,90

17.10.11

Christoph Chorherrs neues Buch

Man stelle sich vor: Ein Ausländer mit dunkler Hautfarbe käme ins Unterrichtsministerium am Wiener Minoritenplatz, ginge zum Portier und fragte, wo er die Bewilligung zur Einrichtung einer Privatschule bekommen könne. Würde so ein Antragsteller weit kommen? Christoph Chorherr, Wiener Grünen-Politiker der ersten Stunde, hat da so seine Zweifel. In Südafrika hat er, der Weiße, es auf ähnliche Weise versucht - und sich nach einer halben Stunde im richtigen Büro bei den richtigen Leuten wiedergefunden, die ihm schließlich die Genehmigung erteilt hätten.
Chorherr führt das Beispiel seiner südafrikanischen Schulgründungen an, um die optimistische Grundthese seines Buches zu stützen: Politisch denkende Menschen könnten Veränderungen bewirken, wenn sie zu konkreten Handlungen übergingen. Die Ausrede, dass Wirtschafts- und Finanzkrisen oder gar die EU leider, leider keine bessere Politik zuließen, gelte in vielen Bereichen eben nicht, argumentiert Chorherr, der seine grundsätzlichen Überlegungen mit persönlichen Anekdoten spickt: Wenn er von der Durchsetzung des Wiental-Radwegs erzählt, dann will er damit belegen, dass die Benutzung von Fahrrädern eine kulturelle Grundsatzentscheidung darstellt, und zwar nicht nur für ihn selbst. Nachhaltig zu wirtschaften und Kulturgüter zu erhalten hat einen über den ökonomischen Nutzen hinausgehenden Effekt: Die Erhaltung des Wiener Stadtparks - der von einem Zyniker auch als attraktive Fläche für ein Business-Development betrachtet werden könnte - ist keine ökologisch zwingende Forderung, er wird zur Erbauung erhalten, ebenso wie Hofburg und Stephansdom nicht in erster Linie Touristenattraktionen, sondern eben Kulturgut sind.
Sorgsamer Umgang mit knappen Gütern - da liege viel Veränderungspotenzial brach, sagt der Grüne. Österreich müsse nur die richtigen Entscheidungen treffen: Wie das gehen könnte, schildert Chorherr in einem eigenen Demokratiekapitel, in dem er eine komplett neue Verfassung, mehr (gut vorbereitete) Volksentscheide, direkt gewählte Abgeordnete und einen mit Mehrheitswahl gewählten Regierungschef vorschlägt.


Christoph Chorherr: "Verändert! Über die Lust, Welt zu gestalten", Kremayr & Scheriau, Wien 2011, 190 Seiten, € 22,-

2.10.11

Die ÖVP wird in der Gerechtigkeitsdebatte getrieben

Wenn die ÖVP einen Kurswechsel vollzieht, dann passiert das immer schön gemächlich. Man will ja niemanden verschrecken, schon gar nicht das Kapital, das konservativem Jägerlatein zufolge "scheu ist wie ein Reh". Also hat man sich der Besteuerung der Reichen mit großer Vorsicht angenähert: Als der damalige Finanzminister Wilhelm Molterer 2007 die Besteuerung von Kursgewinnen bei Wertpapieren angehen wollte, hatte er beim mächtigen Wirtschaftsbund noch keine Chance. Nach der Wahl 2008 war das Thema dann ohnehin vergessen. Bis die SPÖ mit ihrer hartnäckig betriebenen Gerechtigkeitskampagne im Vorjahr den gesamten Komplex Vermögensbesteuerung wieder aufs Tapet brachte.

Da war angesichts der miesen Budgetlage der Widerstand erlahmt, der Wirtschaftsbund zog sich auf die Position zurück, dass Vermögenssubstanz nicht besteuert werden sollte. Von den Zuwächsen war keine Rede mehr - woraufhin die ÖVP mit der SPÖ die schlechtestmögliche Variante einer Wertpapierbesteuerung vereinbarte: Nun muss jeder Veräußerungsgewinn mit 25 Prozent versteuert werden, auch ein kurzfristiger Spekulationsgewinn, der bis dahin der vollen Progression unterlegen war.

Die Spekulanten darf das freuen. Der Mittelstand, der Wertpapiere für einen langfristigen Vermögensaufbau bis dahin steuerfrei sammeln konnte, wird geschoren - ausgerechnet von jener ÖVP, die seit den 50er- Jahren Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand gepredigt hatte.

Steuergerechtigkeit sieht anders aus. Das weiß man in der ÖVP auch, aber Vorstellungen davon lässt man lieber zuerst von der SPÖ entwickeln. Dazu kann man so schön Nein sagen. Dann kann man breit über den Schutz des Mittelstands diskutieren - in dem Wissen, dass wesentliche Steuerleistungen ohnehin nur von diesem hochgelobten Mittelstand kommen können. Und dann gibt die ÖVP wie üblich nach.

Wie eben jetzt beim Thema "Reichensteuer": Offenbar unter dem Eindruck der sozialdemokratischen Kampagnen in Ober- und Niederösterreich haben sich die Landeshauptleute Josef Pühringer und Erwin Pröll mit dem Gedanken angefreundet, bei den ganz hohen Einkommen einen Zuschlag einzuheben. Schon wird fleißig lizitiert: Während die oberösterreichische SPÖ eine Millionärssteuer fordert, könnte sich der schwarze Landeshauptmann damit anfreunden, einen Solidarbeitrag bereits bei einem Jahreseinkommen von einer Viertelmillion greifen zu lassen. Alles Verhandlungssache.

Denn: Es wird verhandelt werden, es werden neue steuerliche Belastungen kommen - das geben ÖVP-Politiker hinter vorgehaltener Hand zu. Und diese Belastungen werden genau jene Arbeitnehmer treffen, die man eigentlich zu entlasten versprochen hat. Ein Solidaritätszuschlag wird am Ende (und wie in Deutschland: gestaffelt) auch mittlere Einkommen erfassen. Das mag im Sinne des Koalitionspartners SPÖ sein - und man könnte sogar eine ehrliche Diskussion führen, ob das am Ende sogar gerecht ist.

Aber dazu müsste die ÖVP eigene, bürgerliche, christlich-soziale (oder wenn es sein muss: auch neoliberale) Vorstellungen von steuerlicher Gerechtigkeit entwickeln, vorstellen, diskutieren lassen. Das aber versäumt sie seit Jahren und zieht sich darauf zurück, dass Vermögen nicht angetastet werden dürfen. Das ist ein nettes Bekenntnis - aber es ersetzt kein konservatives Steuerkonzept.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.10.2011)

Labels: ,