21.11.05

Guter Rat ist Betriebsrat

Neben meiner Tätigkeit als Redakteur beim Standard bin ich nicht nur Bierpapst und Marketing-Autor, sondern auch Betriebsrat und Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft. Für eine Diskussionsleitung konnte ich kürzlich vor vollem Haus im (ÖGB-eigenen) Palais Strudlhof fast alle diese Funktionen verbinden. Das berichtete der Standard:
Dass der ÖGB (gemeinsam mit dem STANDARD) ausgerechnet in der Vorwoche zum Streitgespräch über "Rezepte gegen den Arbeitsfrust" lud, ist kein Zufall: Eben hat die Gewerkschaft mit einer groß angelegten Kampagne zur Installierung von mehr Betriebsräten in den österreichischen Unternehmen begonnen - und für Roswitha Bachner, Leitende Sekretärin des ÖGB, ist ebendas das wirksamste Rezept gegen Frust im Betrieb.
Im Palais Strudlhof liegen auch überall die Broschüren auf, die zum "Abenteuer Verantwortung", zur Gründung von Betriebsräten, zur Kandidatur für die Kollegenschaft und zum Anruf bei der Nummer 0800/57 77 44 ermuntern. Aber auch die Unternehmervertreter auf dem Podium können der These Bachners durchaus etwas abgewinnen: Emmerich Selch, Eigentümer-Geschäftsführer der Buchhandlung und des Zeitungsvertriebs Morawa, betont zwar die in seinem Haus übliche Politik der offenen Türe, gibt aber zu: "Na, bei Frustrationserlebnissen glaube ich nicht, dass jemand als Erstes zu mir gelaufen kommt."
Da ist eben ein Betriebsratsmitglied doch eher die erste Anlaufadresse - und kann gelegentlich die Ursache von Problemen an der Wurzel beseitigen. Was wiederum zum Besten des Unternehmens sein kann, wie Karl Merstik, Betriebsratsobmann im Hotel Sacher aus 25 Jahren betrieblicher Erfahrung erzählen kann.
Als das Nobelhotel umgebaut (und zu diesem Zweck zeitweise geschlossen) wurde, waren die Sorgen und Frustrationen der Belegschaft groß: "Im Sacher ist es doch so, dass nicht nur das Interieur, die schönen Kommoden, den Erfolg ausmachen - es sind die Mitarbeiter, die den Erfolg bringen. Viele Gäste kommen ja, weil sie die Mitarbeiter schon 30, 40 Jahre kennen" - und wenn sich bei einer umbaubedingten Schließung die Mitarbeiter in alle Welt verlaufen, wäre das Sacher nicht mehr das Sacher. Ein Standpunkt, den Betriebsrat und Unternehmensführung gemeinsam getragen haben - und dem Team ermöglicht haben, durch (teilweise vorgezogene) Urlaube während der schwierigsten Phase an das Haus gebunden zu bleiben.
Bachner sieht das als Beispiel für die aus dem Arbeitsklima-Index bekannte Tatsache, dass in Betrieben mit funktionierendem Betriebsrat die Arbeitszufriedenheit größer ist als in Betrieben ohne Betriebsrat. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Reinhold Mitterlehner sieht das zwar nicht als erwiesen an, lobt aber doch die Sozialpartnerschaft auf allen Ebenen: "Das ist das Erfolgsgeheimnis der österreichischen Wirtschaft, dass der Dialog funktioniert." Besser jedenfalls als in Deutschland, wo Unternehmer und Gewerkschafter deutlich schlechter miteinander auskommen; oder, noch schlimmer, wo Unternehmer versuchen Betriebsräte wie jene bei VW zu korrumpieren.
Natürlich könne er nicht ausschließen "dass ein paar Unternehmer" die Gründung von Betriebsräten erschweren, "eine gewisse Grundangst ist bei manchen vorhanden und sie mag auch in dem einen oder anderen Fall berechtigt sein", meint Mitterlehner - und Selch ergänzt, dass "nicht jeder Betriebsrat a priori ein guter Betriebsrat" sei. Da brauche es eben Weiterbildung - und die Bildungsfreistellung wiederum wäre gerade in kleinen Unternehmen eine gewisse Belastung.
(der Standard, Printausgabe vom 21. November 2005)

17.11.05

Ausgehungerte Zivildiener

Im Zweifel habe ich immer den Dienst beim Bundesheer als wichtiger, weil im (seltenen) Ernstfall viel belastender empfunden: Immerhin muss ein Soldat sein eigenes Leben einsetzen und im Einsatz auch anderer Leute Leben nehmen, ob ihm das passt oder nicht.
Andererseits kann man mit gutem Grund sagen, dass dafür der ganz gewöhnliche Dienst beim Zivildienst seine spezifischen, nicht zu unterschätzenden Belastungen hat - Zivildiener bringen ja auch beachtliche Leistungen. Den Dreck von Behinderten putzen zu müssen ist sicher nicht lustiger als beim Militär im Dreck zu liegen. Allerdings: Beim Bundesheer hat man inzwischen erkannt, dass man Freiwillige für einen professionellen Einsatz nur bekommt, wenn man marktgerecht bezahlt - beim Zivildienst aber wurde drei Jahrzehnte lang systematisch versucht, Schikanen zu praktizieren. Nun hat der Verfassungsgerichtshof erkannt, dass den Zivildienern zu wenig für das Essen bezahlt wird:
Dass man von sechs Euro am Tag nicht recht satt werden kann, das hätte man auch vorher wissen können. Dem Innenminister haben es die Zivildiener schon vor Jahren gesagt, der ganzen Koalitionsregierung, dem Parlament. Geholfen hat es nicht - es mussten erst die Verfassungsrichter zum Erkenntnis kommen, dass die Verpflegungsgelder zu niedrig angesetzt wurden. Immerhin werden sie jetzt angepasst. Und alle tun überrascht, denn anständig zahlen will keiner.
Mit anständiger, wenn auch in keiner Weise üppiger Bezahlung würde sich der Zivildienst in vielen Bereichen nicht rechnen - nur zum Billigtarif können sich viele Trägerorganisationen den Einsatz der Wehrersatzdiener leisten.
So bleibt der zivile Ersatz für den ungeliebten Wehrdienst auch drei Jahrzehnte nach seiner Einführung problematisch. In manchen Köpfen spukt immer noch die Vorstellung herum, dass die jungen Männer quasi dafür "bestraft" werden müssen, dass sie sich dem Heer entziehen. Das ist die eine Erklärung dafür, dass wiederholt Regelungen beschlossen wurden, die den Zivildienst eben ein bisschen weniger attraktiv machen sollen als den Wehrdienst. Die andere ist, dass man Zivildienern, die oft sehr professionelle Arbeit leisten, eben nicht ein Profi-Gehalt zahlen will - weil sonst die Kosten aus den Fugen gerieten.
Beim Bundesheer hat man inzwischen erkannt, dass man Freiwillige für einen professionellen Einsatz nur bekommt, wenn man marktgerecht bezahlt. Natürlich setzt das Budgetumschichtungen und Budgeterhöhungen voraus - und diese wird man auch bei den sozialen Diensten brauchen. Denn eines Tages könnte die Wehrpflicht ganz fallen und mit ihr die Grundlage für den Zivildienst. Wird man dann auch überrascht sein und behaupten, die Lücke sei nur zu Hungerlöhnen zu füllen?
(DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2005)