22.9.05

Aufregung um "Einladung an die Besten"

Merkwürdig, wie viel Widerspruch man erntet, wenn man auf das auffallende Missverhältnis zwischen dem Schutz der geistig Schwächeren und der notwendigen Einladung an die besten Denker hinweist. Ausgangspunkt für die Debatte, die ich im Standard geführt habe, war ein Bericht des ORF über Ausführungsbestimmungen zum neuen Staatsbürgerschaftsrecht: Demnach sollten Kinder dann erleichtert eingebürgert werden, wenn sie in der Schule erfolgreich sind. Umgekehrt wird ein Skandal daraus, habe ich im Standard kommentiert und damit die größte Leserbrief-Flut meiner Karriere ausgelöst:

Ungeheuerlich, was den stets wachsamen Gutmenschen da aufgefallen ist: Wenn das Staatsbürgerschaftsrecht wie geplant verschärft wird, dann kann ein Zuwandererkind, das in der Volksschule sitzen bleibt, nicht zum österreichischen Staatsbürger werden, solange es nicht wenigstens die Deutschkenntnisse hat, die ein 14- Jähriger hat. Es hat sich doch nicht erst seit der Pisa-Studie he^rumgesprochen, dass Volksschulleistungen nicht über die weiteren Lebenschancen entscheiden sollen!
Zur Beruhigung ein sachlicher Hinweis: Selbst schlecht integrierte Kinder müssen in der Volksschule kaum eine Klasse wiederholen - in der Praxis hätte die Regelung kaum Relevanz.
Die Aufregung verstellt aber den Blick darauf, dass Österreich bisher genau die falschen Ausländer anlockt: Ins Land kommen jene, die das gerne wollen - und nicht jene, die Österreich wirklich braucht. Die Diskussion um das vom EuGH breit geöffnete Medizinstudium zeigt ja: Wir bekommen jene deutschen Medizinstudenten ins Land, die dort durch den Numerus clausus nur zweite Wahl wären. Was wir brauchen würden, wären aber die besten Medizinprofessoren, nicht die zweitbesten Studenten.
Die USA führen es erfolgreich vor: Sie locken gezielt die brillantesten Köpfe aus aller Welt ins Land und bürgern sie ein. Sie locken nicht mit einem tollen Sozialsystem (für Migranten aus unteren Schichten ein nicht zu unterschätzendes Argument für die Wahl ihres Ziellandes), sondern mit Karrierechancen und hohem Prestige für Spitzenkräfte. Da kommen die richtigen Neu-Bürger - und schaffen Wachstum und Wohlstand.
Hier zu Lande aber sorgt man sich lieber darum, dass auch der letzte Schulversager noch österreichischer Staatsbürger werden kann - und wundert sich über den Zustand der Wirtschaft.


Auf diesen Kommentar bekam ich eine Flut von Briefen und Mails - kaum einer ging darauf ein, dass es wichtig ist, die Besten für Österreich auszuwählen, aber fast alle stützten (wenn auch unfreiwillig) meine These, dass die guten Menschen in unserem Land zwar sehr sorgsam die schwachen Schüler, aber sehr wenig interessiert die starken Erwachsenen unter den Einwanderern suchen. So schrieb mir eine Schuldirektorin zwar: "Um es vorwegzunehmen: Dass Länder ihre Zuwanderung gezielt steuern und qualifizierte Zuwanderer nach dem ökonomischen Bedarf aussuchen, ist legitim und vernünftig." Danach schloss sie aber all das Gutmenschliche an, das man zu der Frage nur sagen kann: "Ihr Aussagen implizieren aber noch etwas viel Gefährlicheres, nämlich, dass Menschen mit Intelligemnz mehr Wert sind als schwächer Begabte... Ich könnte Ihnen namentlich eine Reihe von ehemaligen SchülerInnen anführen, die Schulversager , -- abbrecherInnen waren, die teils schon in der Volksschule negative Noten waren und später Hochschulstudien abgeschlossen haben. Darunter sind auch international renommierte Journalisten, die im ausländischen Feuilleton tätig sind, ManagerInnen, usw. usw. " Nun, das wäre ja nicht überraschend - aber würde man diese Leute - ehe sie ihre Verdienste erworben haben, aufgrund ihrer möglichen künftigen Entwicklung schon einbürgern?

Das habe ich am 9. Oktober zurückgeschrieben:
Sehr geehrte Frau S.,
ich nutze ein zumindest teilweise freies Wochenende, um auf Ihr bewegtes Mail vom 26. September zu antworten - und bitte um Vergebung für die Verspätung.
Offenbar haben Sie mich teilweise recht gut verstanden, insgesamt aber nicht.
Sinn meines Kommentars war, darauf hinzuweisen, dass in Österreich sehr viel noch so gut gemeintes Engagement aufgewendet wird, um möglicherweise Benachteiligte (wie eben Schulversager) aufzufangen. Gleichzeitig wird aber vergessen, diejenigen zu fördern und gezielt einzubürgern, die Österreich wirklich brauchen würde. Und hier dürfen eben nicht soziale und humanitäre Kriterien gelten, hier geht es um die (ja auch von Ihnen außer Streit gestellten) ökonomischen Interessen.
Die Kinder, um die die ganze Aufregung entstanden sind, sind zahlenmäßig wenig bedeutsam.Wenn sie nicht gleich eingebürgert werden, ist das auch nicht wirklich problematisch: Irgendwann kommen sie schon dran; niemand verlangt ja, dass diese Kinder gleich abgeschoben werden. Wohl aber wird - umgekehrt - als Verwaltungsvereinfachung vorgeschlagen, dass erfolgreicher Schulbesuch eine Einbürgerung begünstigen soll, was doch recht einleuchtend ist.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das für "menschenverachtend" halten. Es tut mir leid, dass Sie mir unterstellen, Menschen zu verachten. Ich achte alle Menschen, ob sie erfolgreich sind oder nicht.
Wenn Sie meinen, dass Schulversager gelgegentlich recht erfolgreich im späteren Leben sind, so kann ich Ihnen nur zustimmen: Das kommt gelegentlich vor. Aber es ist kein Prinzip: Schulversagen sagt über späteren wirtschaftlichen Erfolg (den Österreich seinen Neubürgern ja wünschen muss) auch nichts Positives aus.
Es wäre daher absurd, aufgrund der Möglichkeit, dass Schulversager später doch noch erfolgreich sein könnten, diese a priori erfolgreichen Schülern gleichzustellen. Als Schuldirektorin tun Sie das hoffentlich nicht (das wäre gesetzeswidrig, schließlich dienen Noten der Leistungsbeurteilung) - und die mit der Einbürgerung beschäftigten Behörden sollten das auch nicht tun.
Vielmehr sollte Österreich Anstrengungen unternehmen, die besten Köpfe aus aller Welt als Einwanderer zu gewinnen. Aber das habe ich ja ausführlich argumentiert.
Mit höflichem Gruß

Conrad Seidl