Stammtische und Leuchtdioden
Wirtshaus und Schule, Greißler und Kirche sollte man in wenigen Minuten zu Fuß erreichen können. Amt und Gericht so, dass man am selben Tag wieder daheim sein kann, selbst wenn einem als Transportmittel nur ein Ochsenkarren zur Verfügung steht. Nach diesen Grundsätzen wurde im 19. Jahrhundert Regionalplanung betrieben.
Und diese Maßstäbe prägen noch heute weit gehend die Vorstellungen von Heimatgefühl und Regionalverbundenheit, selbst wenn der durchschnittliche Österreicher heute eher selten zur Kirche geht und im Schnitt auch weniger Kinder als früher zur Schule zu schicken hat.
In weiten Teilen Österreichs stimmt es in dieser Hinsicht schon lange nicht mehr. Und die Prognosen deuten darauf hin, dass man außerhalb zentraler Bezirksstädte noch weitere Wege zum Stammtisch in Kauf wird nehmen müssen - und weil sich Stammtischkultur und Autofahren gegenseitig ausschließen, dreht sich die Spirale weiter. Wo es weniger Stammtische gibt, gibt es weniger Gemeinschaft.
Was für die Wirtshäuser und ihre Besucher gilt, gilt ebenso für die Bezirksgerichte: Werden sie geschlossen, müssen sich die Bürger eben in die nächst größere Stadt wenden - und weil es in den kleinen Städten keinen Bedarf mehr für Anwälte und Notare gibt, übersiedeln die in die zentraleren Städte. Die relativ besser gebildete und relativ besser verdienende Schicht dünnt aus - zurück bleiben ältere Menschen, oft mit niedrigem Einkommen und hohem Pflegebedarf sowie ein ebenfalls ausdünnender und im Schnitt immer schlechter verdienender Bauernstand.
Keine rosige Ausgangslage für die Regionalpolitik - und vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass Regionalpolitik als solche kaum betrieben wird. Wer wäre denn eigentlich zuständig dafür?
Der Landwirtschaftsminister, der ständig den ländlichen Raum als Ideal preist?
Der Infrastrukturminister, der gerne bei der Bundesbahn sparen will - wobei der als unrentabel geltende Verkehr in den dünn besiedelten Regionen natürlich besondere Aufmerksamkeit der Rationalisierer auf sich zieht? Die Gesundheitsministerin, die mit demselben Rationalisierungsargument Spitäler zur Schwerpunktbildung drängt? Die Bildungsministerin, der bewusst sein muss, dass Kleinstschulen pro Schüler meist teurer (und nicht notwendigerweise besser) sind als städtische Schulzentren? Der Wirtschafts- oder der Finanzminister?
Oder gar der alles irgendwie koordinierende Kanzler?
In allen Ressorts gäbe es Ansätze - aber außer in Wahl-und Sonntagsreden, die sich ja auch an die im ländlichen Raum verbliebenen Bevölkerungsteile richten, ist nicht viel zu gewinnen mit der Regionalpolitik. Weshalb die Menschen in den peripheren Regionen auf sich allein gestellt sind. Sie vollbringen dennoch Beachtliches: Zwar wird die Entvölkerung agrarischer Regionen und zunehmend auch die alter Industriereviere weitergehen - aber gerade dort sind auch die Beispiele von weit gehend energieautarken Gemeinden, mehr oder weniger "sanften" Tourismusprojekten und von hochspezialisierten gewerblichen und industriellen Produktionen daheim.
Weder die hochpreisige Zotter-Schokolade noch die hocheffizienten Leuchtdioden von Tridonic kommen aus urbanen Zentren, sondern aus den ländlichen Gemeinden Riegersburg und Jennersdorf.
Mit den Hinweisen darauf (sie kommen besonders oft von ÖVP-Politikern) kann allerdings nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass die Regionen mit schrumpfender Bevölkerung eine besondere Hilfestellung brauchen, wenn es um soziale Probleme geht - und zwar jetzt, bevor sich dort aufgrund der Überalterung Armut verfestigt.
Und es bedarf eines Umdenkens der Planer: Wo im Zweifelsfall der Autofahrer - dem noch ein paar zusätzliche Kilometer zum Amt und zum Einkaufszentrum zugemutet werden können - als Norm gilt, ist das menschliche Maß bereits verloren gegangen.