8.7.07

Patentrezept Vorschule?

Von all den Vorschlägen, die Alfred Gusenbauer in seiner
Zeit als Oppositionspolitiker gemacht hat, war es wohl
der menschlich einfühlsamste und ökonomisch am weitesten
in die Zukunft weisende: Jedes Kind, das in Österreich
die Schulpflicht erreicht, soll zu diesem Zeitpunkt bereits die
Unterrichtssprache Deutsch so weit beherrschen, dass es dem
Unterricht auch folgen kann. Das ist nicht nur eine Voraussetzung
für eine sinnvolle Integration der Kinder mit Migrationshintergrund
in unseren österreichischen Schulalltag – es ist
auch die beste Basis dafür, dass die Schulkinder von heute in
ein, zwei Jahrzehnten beruflich erfolgreich sein können.
Lernen müssen sie sowieso selber. Aber die Grundlage dafür
soll schon gelegt werden, bevor sie in die Volksschule kommen.
Die Koalition führt uns allerdings vor, wie man aus einem
solchen guten Vorschlag einen Streitfall macht – und am
Ende womöglich jene Kinder benachteiligt, deren Sprachkenntnisse
durchaus zufrieden stellend wären. Aus der Sorge,
die eine oder andere Familie könne sich diskriminiert fühlen,
wenn man ihr fünfjähriges Kind in die Vorschule schickt, um
erst einmal die deutsche Sprache zu lernen, wurde die Idee einer
Vorschulpflicht für alle geboren – technisch wäre das eine
Ausweitung der Schulpflicht auf eine monothematische Schule
für Fünfjährige, deren einziges Unterrichtsfach Deutsch wäre.
Das wäre nützlich für die, die tatsächlich mit der deutschen
Sprache Schwierigkeiten haben. Und ziemlich fad für die Mehrheit
der Kinder, die daheim gutes Deutsch gelernt hat. Wobei
sich zeigen würde, dass die Sprachkenntnisse keineswegs entlang
der Linien von geografischer Abstammung verteilt sind,
sondern viel mehr mit dem sozialen Hintergrund zu tun haben.
Kindergartenpädagogen wissen, dass ein paar Stunden im
Kindergarten (oder in der Vorschule) nicht ersetzen können,
was Eltern daheim versäumen. Ein Kind, mit dem die Eltern daheim
nicht kommunizieren, wird auch in einer Vorschule nur
schwer die sprachliche Entwicklung nachholen können. Dabei
ist es nicht gar so wichtig, ob mit einem Kleinkind daheim in
türkischer, serbischer oder deutscher Sprache geredet wird –
wichtig ist, dassmit dem Kind überhaupt geredet wird, dass ihm
daheim Geschichten vorgelesen werden und der Fernsehapparat
nicht die einzige Quelle des Spracherwerbs ist.
Es geht um den respektvollen Umgang mit dem Kind – und
um den Willen der Eltern, es zu fördern. In alten, immer
noch gültigen bürgerlichen Werten ausgedrückt: „Das
Kind soll es einmal besser haben.“ Und dafür muss man sich
um das Kind bemühen. Viele Eltern tun das – jedenfalls so gut
sie können. Sie bringen schon kleine Kinder in mathematische
Früherziehung, in Musikkurse, in Ballettschulen. Sie lesen ihnen
stundenlang vor und diskutieren mit ihnen Tag für Tag.
Es sind diese heilen Familien, die die ÖVP imAuge hat, wenn
sie fragt, was derartig geförderte Kinder in einem Sprachkurs
tun sollen, in dem andere erst einmal die Grundlagen der Kommunikation
lernen müssen. Bremst man diese Kinder nicht in
ihrer Entwicklung, wenn man sie in Sprachkurse zwingt, in denen
sie nichts lernen können? Ist das nicht unzulässige Gleichmacherei?
Andererseits macht der Streit um die Vorschulpflicht auch
deutlich, dass es eben Kinder gibt, die mit Startvorteilen ins
Schulleben einsteigen. Der Wunsch der Eltern, solche Startvorteile
aufrechtzuerhalten, ist verständlich. Das muss das Bildungssystem
gewährleisten. Und gleichzeitig jenen Nachhilfe
geben, die diese Startvorteile nicht hatten, damit sie wenigstens
die Chance haben, einen Anschluss zu finden.