19.8.05

Wenn schon Steuerreform, dann beim Spitzensteuersatz!

Rund einen Monat lang hat sich die ÖVP einer Diskussion um einen nächsten Schritt der Steuerreform verweigert - dann hat Klubchef Wilhelm Molterer in einem Standard-Interview amFreitag, dem 19. August 2005, erklärt, dass es in der nächsten Legislaturperiode eine Entlastung bei den höchsten Einkommen geben soll: "Eine Steuerreform kommt dann, wenn sie auch leistbar ist. Wir wollen im Bereich Leistungsträger und Mittelstand etwas machen. In Österreich zahlen 45 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen keine Steuer - das heißt, 55 Prozent tragen 100 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuerlast. Da muss man die Verteilungsfrage stellen. Ich weiß, dass diese Diskussion sehr heikel ist, weil aus der sozialen Balance vieles dafür spricht, den Spitzensteuersatz nicht anzurühren. Aber andererseits gibt es viele im Leistungsträgerbereich, die sagen: Warum nur wir? Daher müssen wir im Bereich des Spitzensteuersatzes etwas tun. Wir können nicht auf immer weniger Leute immer größere Lasten verteilen. Die SPÖ wird das jetzt nicht wollen. Für uns ist das ein Thema für die nächsten Koalitionsverhandlungen."
Ebenfalls im Standard habe ich zugestimmt, im Wochenendblatt unter dem Titel "Signal an Leistungswillige" schrieb ich:
"Gibt es eigentlich irgendjemanden, der sein ganzes Einkommen zum Spitzensteuersatz von 50 Prozent versteuern muss? Nein, natürlich nicht: Nur wer sehr viel verdient - mehr als 51.000 Euro pro Jahr - muss den über diese 51.000 Euro hinausgehenden Teil des Einkommens mit dem höchsten Steuersatz versteuern. Da kostet allerdings jeder dazuverdiente Euro dann 50 Cent Lohn- beziehungsweise Einkommenssteuer. Und es tröstet wenig, dass das Finanzministerium auf seiner Homepage treuherzig vorrechnet, dass ja die unter dem Spitzensteuersatz liegenden Beträge mit viel niedrigeren Sätzen besteuert werden und ein Österreicher mit 51.000 Euro Jahreseinkommen ohnehin "nur" 33,5 Prozent Durchschnittssteuersatz zu zahlen hat.
Betroffen von den höchsten Steuersätzen sind gerade einmal 200.000 der 5,85 Millionen Einkommenssteuerpflichtigen. Politisch eine zu vernachlässigende Größe: Rund zwölfmal so viele Personen zahlen von ihrem (als zu gering verschmähten) Einkommen gar keine Steuer oder bekommen sogar etwas zurück.
Aber beim Spitzensteuersatz geht es nicht um ein paar Stimmen der so genannten "Besserverdiener". Es geht um Psychologie: Wer für zusätzliche Leistung nur halb so viel herausbekommt wie jene zweieinhalb Millionen Österreicher, denen der Staat die Einkommenssteuer ganz erlässt, hat nicht nur wenig Lust, sich sonderlich anzustrengen - er klagt auch gerne und ausführlich über das von ihm selbst als wirtschaftsfeindlich erlebte Klima im Land. Den Spitzensteuersatz zu senken - und die seit 1989 unveränderte Tarifgrenze, ab der er einsetzt, anzuheben - wäre daher ein Signal an Leistungswillige ebenso wie ans Wirtschaftsklima. Mit den Windfall-Profits, die der Fiskus durch die bei hohen Ölpreisen anfallenden Steuern lukriert, wäre es leicht zu finanzieren. "

(DER STANDARD, Printausgabe 20./21.8.2005)