18.5.05

Seelsorge ohne Orientierung

Ist es nicht so? Im Religionsunterricht an österreichischen Schulen wird über alles Mögliche gesprochen. Über so grundsätzlich wichtige Dinge wie Toleranz und Frieden, über die Sorgen junger Menschen und über Gott und die Welt. Genauer: Mehr über die Welt als über Gott.
Das ist nicht ganz neu. Es ist schon vor mehr als 20 Jahren dem damaligen apostolischen Nuntius Mario Cagna aufgefallen - und er hat es in einem 20-seitigen Schreiben an den Heiligen Stuhl festgehalten: "Viele Eltern beklagen sich darüber, dass in denUnterrichtsstunden in den Schulen über alles geredet und diskutiertwird, 'nur nicht über Religion'. In der Tat kann man einekulturell-religiöse Leere feststellen, die diese Pädagogik bei denJugendlichen hinterlassen hat. Diese (Leere) wird nicht nur an dentheologischen Fakultäten, sondern auch in den pädagogischen Akademiender Diözesen gelehrt."
Der Text ist am Mittwoch im ORF-Morgenjournal verlesen worden - gerade fünf Stunden bevor der Rücktritt des Sozialbischofs Maximilian Aichern bekannt gegeben wurde. Dabei ist er (auf Italienisch) längst bekannt gewesen.
Immerhin wirft er ein bezeichnendes Licht auf das wahre Bild, das in Rom von der liberalen österreichischen Kirche in der Ära des hoch geschätzten und (hierzulande) sogar für "papabile" gehaltenen Kardinals Franz König gezeichnet wurde: "Von allen Bischöfen, ohneAusnahme, kann man sagen, dass sie persönlich fromm, ehrlich,fleißig, orthodox und hingebungsvoll in der Ausübung ihrer Ämtersind; sie politisieren nicht und sind fern von Extremismen jeglicherArt. Von allen kann man aber auch sagen, dass sie zu vorsichtig undfurchtsam vor den Theologen, den Pastoralgremien, den Journalistenund vor der Öffentlichen Meinung sind. Daher zeigen sie nur seltenFestigkeit in ihren Standpunkten und verfallen in Permissivität... Wenn man die aktuelle Situation betrachtet, dann darf man sichkeine Illusionen über eine rasche Genesung machen. Es wird Jahrebrauchen sowie mutige und heilige Bischöfe, die mit Vorsicht, aberEntschiedenheit und ohne Zögern die Strukturen und Personenverändern, die Seminare beleben, den guten Priestern Mut zusprechen,die schwachen und vom Weg abgekommenen Priester korrigieren, dieBürokratie abbauen, die mit Beständigkeit die gute Doktrin predigenund überall die Identifikation mit dem Papst und seinem Lehramtstärken."
Ich habe dazu im Standard folgenden Kommentar - unter dem Titel "Es ist schwer, zu glauben" - geschrieben:
"Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde." Den ersten Satz des Credo werden die meisten, die sich in Österreich als Katholiken definieren, wohl noch mittragen. Allerdings: Ist ein so klar männlich definierter Gott überhaupt zeitgemäß? Würde man nicht aus heutiger Sicht ein genderneutrales Gottesbild bevorzugen? Außerdem ist ja uns aufgeklärten Menschen die Schöpfungsgeschichte - rein wissenschaftlich betrachtet - suspekt.
Und erst recht, wie es dann weitergeht mit den Bekenntnissen: Der Glaube an Jesus Christus, "empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria", "gekreuzigt, gestorben und begraben" - das wörtlich zu glauben fällt vielen schwer, erst recht das Bekenntnis zur "Auferstehung des Fleisches" (oder, wie man jetzt betet: "der Toten").
Schwer zu glauben.
Aber die Lehren der Religion zu glauben war wahrscheinlich immer schwierig, auch als man über Leben und Tod noch nicht so viel zu wissen vermeint hat wie heute.
Nur haben die Kirchen, bei uns eben die vorherrschende römisch-katholische Kirche, das Mysterium des Glaubens in früheren Zeiten offenbar besser erklären können. Weil die Verkünder des Glaubens mit ihrer jenseitsorientierten Botschaft immer weniger gehört wurden, haben sie sich in den letzten Jahrzehnten da^rauf verlegt, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind.
Maximilian Aichern, der jetzt mit 73 Jahren in eine Art pastorale Frühpension geschickt wurde, ist ein vorbildliches Beispiel dafür: Er scheute sich nicht, mit Gewerkschaftern eine Front zur Erhaltung der Sonntagsruhe zu bilden, er nahm die Sorgen der Menschen um Arbeit und Lebensunterhalt ernst und mahnte die Politik, nicht nur den Geldwert der von den Menschen erwirtschafteten Werte zu sehen.
Das ist gut und schön und wahrscheinlich auch gottgefällig - es entspricht jedenfalls dem, was der verstorbene Papst Johannes Paul II. gepredigt und vorgelebt hat. Aber es fehlt bei all dem sozialen Engagement eben doch etwas: nämlich der Bezug zum Jenseits. Einer Kirche, die die Caritas lebt, aber den Glauben nicht wirksam verkündet und gegen Zweifler verteidigt, geht über kurz oder lang die Existenzberechtigung verloren.
Lange hat man das in Österreich überspielt. Man hat Kardinal Franz König verehrt, der so menschlich über die Sorgen der Österreicher sprechen konnte; der so selten gemahnt und so oft ermuntert hat. In dem ausgerechnet am Tag des Rücktritts von Aichern in Österreich bekannt gewordenen (aber schon vor zwei Jahren auf Italienisch veröffentlichten) Bericht des seinerzeitigen apostolischen Nuntius Mario Cagna über die Situation der Kirche vor 1985 steht ganz klar, was in jener Zeit aus römischer Sicht versäumt wurde: die Doktrin hochzuhalten und für die Religion zu kämpfen - auch gegen die Lauen in den eigenen Reihen.
Die römische Kur war radikal: Mystiker und Dogmatiker wurden auf Bischofssitze gehievt, auf denen vorher verbindlich-freundliche und vor allem sozial engagierte Seelsorger gesessen waren. Vor den Seelsorgern der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil brauchte keiner davonzulaufen, so harmlos waren sie. So sind die Menschen geblieben, wenn auch ohne inneres oder gar äußeres Glaubensbekenntnis. Die neuen Kirchenherren aber konnten diese Taufscheinkatholiken nicht mehr in der Kirche halten.
Mit der Offenheit war es rasch vorbei. Aber die wiederentdeckte Mystik, die jenseitigen Versprechungen, die Liebe zur Gottesmutter und der inflationär wachsenden Gemeinschaft der Heiligen konnte nur eine Minderheit begeistern. Die Skandale der Kirche waren für viele nur der letzte Anstoß auszutreten.
Der wahre Grund, warum die Menschen die Kirche verlassen, liegt darin, dass die Kirche die Orientierung, die sie geben will, nicht vermitteln kann. Ja, es ist schwer, zu glauben - und die Kirche muss rasch bessere Wege und geeignetere Menschen finden, den Glauben zu vermitteln.
(DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2005)