Marktwirtschaftliche Nachhilfe
Wie gesagt, ich lese die Raiffeisenzeitung nicht wegen dieser gelegentlich anachronistisch wirkenden "Humor"-Rubrik. Auch nicht wegen der Rezepte (auch wenn das eine oder andere ganz lecker klingt), der endlosen genossenschaftlichen Interna oder wegen des wöchentlichen, stets an sportliche Marschierer gerichteten Wandertipps von Matthäus Kattinger.
Sondern deshalb, was Matthäus Kattinger jede Woche unter "Aufgespießt" zum Besten gibt: Das ist Österreichs wahrscheinlich beste rechtsliberale Wirtschaftskolumne.
Diese Woche - in der Ausgabe 17/2005 vom 28. April - rechnet er mit der Gemächlichkeit der immer noch sozialpartnerschaftlich geprägten Wirtschaftspolitik in Wien ab - mit Hinweis auf das nahe Bratislava, wo die Uhren ganz anders gehen: "Bisher retteten sich die Vertreter der Kreidefresser, ignoranten und Besitzstandswahrer in diesem Lande - also vorrangig der Sozialpartner und eines Großteils der Politiker - in die Schutzbehauptung, dass das Einzige, was wir „von denen“ fürchten müssten, ihre niedrigen Löhne und die geringen Sozialleistungen wären, dass die Arbeiter dort quasi unlauteren Wettbewerb, also Lohn- und Sozialdumping, betrieben. Weshalb die Sozialpartner im Zuge des Beitritts der Reformstaaten so intensiv um lange Übergangsfristen für wanderungswillige Arbeitnehmer und jetzt um die Verhinderung der EU-Dienstleistungs-Richtlinie gerungen haben." Ich glaube - mit Kattinger - dass die Dynamik der Nachbarregionen massiv unterschätzt wird.
"Ein großer Teil der Arbeitnehmer ist nicht nur gut ausgebildet, sondern vor allem hungrig nach Erfolg, nach Aufstieg, nach dem, was man „im Westen“ gesehen hat. Sie denken nicht zuallererst an soziale Absicherung, an gewerkschaftliche Sonderrechte, sondern sie wollen „nach oben“. Sie wollen nicht verhindern, sondern schaffen, gestalten und verdienen. Sie sehen nicht zuerst die Risiken, sondern vor allem einmal die Chancen.
Dem gegenüber stehen die meisten Länder der Alt-EU mit Deutschland und Frankreich an der Spitze, die österreichischen Sozialpartner nicht weit dahinter. Sie wollen nicht wahrhaben, was um sie herum vorgeht, und ignorieren zwei der ältesten Gesetzmäßigkeiten im Wettbewerb." Nämlich: "Es ist leichter nach oben zu kommen, als sich an der Spitze zu halten. Wer oben angekommen ist, will sich feiern, konsolidieren, ausruhen-und vergisst, dass schon andere zum Gipfelsturm blasen. Richtschnur dabei sind aber nicht die eigenen Erfolge der Vergangenheit, sondern das, was die (hungrigen) Wölfe, was der Wettbewerb imstande ist, zu leisten.
Der zweite Denkfehler, den Österreich, Deutschland, Frankreich und die anderen machen, ist, dass sie glauben, es hänge von ihnen ab, wie sich Ungarn, die Slowakei, Tschechien oder die baltischen Staaten wirtschaftlich entwickeln. Sie glauben, dass sie das Gesetz des Handelns auch der Konkurrenten bestimmen (bzw. blockieren) können.Das beste Beispiel liefert wohl die Diskussion um den angeblichen Wettlauf bei Unternehmenssteuern. Nicht die Reformstaaten haben mutwillig einen Steuerwettlauf nach unten vom Zaun gebrochen, sie haben ihr Steuersystem ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst. Da ihr Sozialsystem, ihr staatlicher Apparat, nicht so aufwendig ist, können sie auch mit weniger Einnahmen auskommen."
Noch dazu habe die Flat Tax in der Slowakei gar nicht zu niedrigeren, sondern zu höheren Steuereinnahmen geführt, rechnet Kattinger vor - und mahnt: "Jetzt heißt es schleunigst auf die Offensive der Reformstaaten zu reagieren... Man könnte fast glauben, in Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer säßen auf den höchsten Positionen Ostagenten, die uns einlullen wollen. So wie der Großteil der europäischen Industriestaaten sich verhält, wird es immer wahrscheinlicher, dass nach dem vom amerikanischen Politikwissenschafter Francis Fukuyama nach dem Fall des Eisernen Vorhanges ausgerufenen „Ende der Geschichte“ (also dem Sieg des Kapitalismus über den sich selbst ausschaltenden Staatssozialismus) als quasi Überschmäh der neue OstKapitalismus (oder wie es die politisch Korrekten bezeichnen: der Neoliberalismus) über den Staatssozialismus westeuropäischer Prägung triumphiert. Das wäre dann der wahre, für den Westen gleichsam schmerzvolle wie blamable Treppenwitz der Weltgeschichte."
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