29.5.05

Gerechtigkeit für Wehrmachtsdeserteure

Der aus dem BZÖ ausgetretene ehemals freiheitliche Bundesrats-Mandatar Siegfried Kampl zeigt von Einsicht keine Spur. Sein Verbleib im Bundesrat und der die anstehende Übernahme des Vorsitzes in der Länderkammer dürfen aber nicht den Blick auf das eigentliche Problem verstellen. Denn mit Kampl oder ohne: Wehrmachtsdeserteuren geschieht weiter Unrecht. Also schrieb ich im Standard:
Bitte, bitte nicht noch eine Blamage durch den falschen Umgang mit der Geschichte der Nazizeit! Aber was helfen Bitten und Mahnungen? Was helfen Bekundungen der Bestürztheit und gute Ratschläge wie der, dass die Bundesregierung wegen eines Gurktaler Bauern zurücktreten soll?
Nichts helfen sie, im Gegenteil: Der jahrelang nur in der eigenen Heimat bekannte Bundesrat Siegfried Kampl scheint es richtig gehend zu genießen, dass er jetzt in den Schlagzeilen steht, dass sein Verbleib im Bundesrat und seine (sonst völlig unbedeutende) Übernahme des Vorsitzes zum Top-Thema geworden ist.
Von Einsicht keine Spur. Er glaubt - und behauptet - weiter, dass Deserteure aus der Deutschen Wehrmacht "teilweise" Kameradenmörder gewesen sind. Er glaubt wohl auch weiter, dass die Nazis nach 1945 zu Unrecht verfolgt wurden - jedenfalls jene, die er kennt; und das dürften etliche sein. Man wird nicht falsch liegen, dass einige derjenigen, die ihm (nach seinem Bekunden in einem
STANDARD-Interview) "Rückhalt" angeboten haben, diesem dem Nationalsozialismus verbundenen Bekanntenkreis zuzurechnen sind oder ihn sogar erweitert haben.
Es gibt genügend Leute, die Herrn Kampl Recht zu geben bereit sind. Obwohl historisch erwiesen ist, dass nur in verschwindend wenigen Fällen Wehrmachtsdeserteure die Waffe gegen eigene Kameraden gerichtet haben; obwohl historisch erwiesen ist, dass die Entnazifizierung generell eher zu lax betrieben wurde und nur höchst ausnahmsweise die Falschen getroffen hat. Es gibt eben Menschen, die ihr Weltbild gerne an jenen Einzelfällen festmachen wollen, die Kampl als Referenz angibt. Solche Einzelfälle mögen in der akademischen Diskussion interessant sein - wenn sie von Politikern aufgeblasen werden, führen sie zu einer Verharmlosung des Nationalsozialismus und vermitteln ein völlig falsches Bild.
Mit diesem Bild wird Österreich nun leben müssen - solange der Kärntner Landtag nicht neu gewählt wird und danach neue Bundesräte entsendet. Dafür gibt es allerdings keine Anzeichen. Auch nicht dafür, dass man sich vornehmen würde, Bundesräte künftig ein bisschen besser auf ihre politischen Haltungen abzuklopfen.
Dass Herr Kampl offenbar nicht daran gehindert werden kann, den Vorsitz des Bundesrats zu übernehmen, ist eine Sache. Eine, die schlimm genug ist. Aber anstatt Kampl und seine Bewunderer durch fruchtlose Debatten auch noch aufzuwerten, könnte man zum Ausgangspunkt der unseligen Sache zurückkehren: Da stand die Sache mit den Wehrmachtsdeserteuren, die auch 60 Jahre nach dem Krieg keine Anerkennung gefunden haben - weder im Pensionsrecht noch durch offizielle Ehrung.
Entsprechende Anträge der Grünen sind serienweise gescheitert. Ein Antrag der Koalitionsparteien wurde dem Justizausschuss zugeleitet, wo es vorläufig einmal Abwarten heißt: Ohne gleichzeitige Ehrung der Trümmerfrauen gibt es nach der Logik der Regierungsparteien auch keine Rehabilitierung jener Männer, die bei Hitlers Krieg nicht mehr mitmachen wollten und aus seinen Truppen davongelaufen sind.
Diese Deserteure wurden über Jahrzehnte in unseligem Weiterwirken der NS-Propaganda vor allem als Feiglinge gesehen, die die Frauen und Kinder in der Heimat nicht verteidigen wollten - sie wurden verachtet, während Angehörige von Wehrmacht und Waffen-SS weiterhin als Helden galten.
Dies ist ohnehin nicht mehr gutzumachen. Aber man kann jetzt ein Zeichen setzen.
Man kann unverzüglich zeigen, dass die Republik - mit der Ausnahme unverbesserlicher Kampl-Fans - die Wehrmachtsdeserteure eben anders beurteilt als Herr Kampl: Man müsste bloß den Wehrmachtsdeserteuren die lange vorenthaltene Anerkennung gewähren. Das würde nichts daran ändern, dass ein ungeeigneter Mann den Vorsitz im Bundesrat führt. Aber es würde vor aller Welt belegen, dass er eben nicht Recht hat.
(DER STANDARD, Printausgabe, 30.5.2005)