Die Gewerkschaft muss umdenken
53 Prozent der Österreicher begrüßen den Rücktritt Fritz Verzetnitschs von seinem Gewerkschaftsvorsitz und dem Nationalratsmandat. Besonders stark ist die Zustimmung unter ÖVP-Wählern, bei älteren und höher gebildeten Befragten.
Weitere zehn Prozent meinen, Verzetnitsch hätte nur den ÖGB-Job abgeben, aber als Abgeordneter in der Politik bleiben sollen. Rund 300.000 Arbeitnehmer haben dem ÖGB in der 19 Jahre währenden Ära Verzetnitsch den Rücken gekehrt - dass der Gewerkschaftspräsident nun mit einem Knalleffekt aus dem Amt geschieden ist, wird keinen von ihnen wieder zurückholen. Eventuell helfen der Rücktritt des Präsidenten und das angekündigte Köpferollen bei den Verantwortlichen in der Bawag P.S.K., einen in den letzten Tagen in vielen Fällen schlagend gewordenen Austrittsgrund aus dem Weg zu räumen: Vielleicht werden sich ein paar frustrierte Mitglieder den Austritt noch einmal überlegen, wenn es keinen aktuellen Anlass mehr gibt, auf "die da oben" zu schimpfen.
Aber das macht das Kraut nicht fett. Es waren ja auch bisher nicht die - ÖGB-Mitgliedern ebenso wie Bawag-Kunden weithin unbekannt gebliebenen - Managementfehler in der Gewerkschaftsbank, die für die sinkenden Mitgliederzahlen verantwortlich waren. Es waren auch nicht die luxuriösen Pensionsverträge der Spitzenvertreter der Arbeitnehmervertreter, die den Unmut von Mitgliedern und Betriebsräten erregt hätten.
Was wirklich verantwortlich für den Mitgliederschwund im ÖGB ist: Dieser Verein ist ziemlich unzeitgemäß. Das beginnt bei seiner Organisation: Lange Jahre war die Mitgliederbasis auf Großbetriebe mit einem starken Wir-Gefühl in der Belegschaft abgestützt - man hat als klassenbewusster Proletarier im Werk zu arbeiten begonnen und ist mehr oder weniger automatisch Gewerkschaftsmitglied auf Lebenszeit geworden. Das ging so weit, dass noch heute der sozialdemokratischen Fraktion zugerechnet wird, wer nicht explizit eine andere Fraktionserklärung abgibt.
Aber die Großbetriebe sind rar geworden, die Belegschaften geschrumpft. Wer vom Großbetrieb in ein Kleinunternehmen wechselt, in dem es oft weder Betriebsrat noch Vertrauensleute der Gewerkschaft gibt, geht dem ÖGB meist verloren. Da diese Arbeitnehmer keinen Kontakt mehr haben, kommt ihnen auch der Sinn für gewerkschaftliche Organisation abhanden. Dasselbe gilt für neu eintretende Mitarbeiter in der mittelständischen Wirtschaft - von selbst meldet sich kaum jemand bei der Gewerkschaft, solange er darin keinen persönlichen Vorteil sieht.
Den Vorteil, den Einzelne aus einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad ziehen, muss man den Arbeitnehmern erst einmal mühsam erklären - viele meinen ja, dass es auf ihre Mitarbeit und Mitgliedschaft nicht so sehr ankäme, wenn Kollektivverträge geschlossen oder Arbeitsbedingungen verbessert werden. Hier kommt die traditionell gewachsene Gewerkschafsorganisation einfach nicht mehr mit.
Deshalb wäre ja die seit eineinhalb Jahrzehnten diskutierte Reorganisation der Gewerkschaftsstrukturen so wichtig - aber hier stehen einander Partikularinteressen von Berufsgruppen und Eifersüchteleien von Spitzenfunktionären im Weg. Der jetzt eingetretene Schock birgt die Chance in sich, dass die Gewerkschaft einen Themenwechsel schafft: hin zum Service für die einfachen Arbeitnehmer.
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