21.3.06

Dem Bundesheer gehen die Ärzte aus

Die hochfliegenden Pläne für eine österreichische Beteiligung an weiteren internationalen Einsätzen könnten an einer unzureichenden medizinischen Versorgung scheitern. Das gibt der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmakologie, Oberstarzt Manfred Strickner, zu bedenken. Im Standard-Gespräch weist er darauf hin, dass Österreich hunderte für den speziellen Dienst im Militär ausgebildete Ärzte fehlen.
Derzeit gibt es nur 60 beamtete Militärärzte, Veterinäre und Pharmakologen – und auch von denen hat ein Drittel bereits das 55. Lebensjahr überschritten und wäre daher nicht mehr geeignet, bei möglichen Kampfeinsätzen (den so genannten „friedensschaffendenAktionen“) im Rahmen der internationalen "Petersberg"-Aufgaben entsendet zu werden.
230 bis 250 Fachärzte würden aber gebraucht, um mit jenen Standards mithalten zu können, die sich Österreich im Rahmen der EU gesetzt hat, sagt Strickner: „Wenn wir an eine Framework-Brigade denken, müssten wir eine Feldambulanz oder gar ein Feldspital dabei haben.“
Um solche Kräfte wie geplant bis zu einem Jahr bei gefährlichen Auslandseinsätzen dabei zu haben, müssten im Hintergrund 200 für die speziellen Anforderungen ausgebildeteÄrzte bereit stehen.
In Österreich gibt es zwar das traditionsreiche Heeresspital in der Wiener Van Swieten Kaserne, aber eine spezielle Ausbildung zur Behandlung von Schuss- und Stichwunden findet dort nicht statt: „Dazu fehlt das Patientenmaterial. Wenn aber jemand jahrelang nur gesunde Leute zwischen 19 und 25 behandelt, ist er fachlich weg,“ gibt Strickner zu bedenken.
Jahrzehnte lang hatte gegolten, dass Österreich in zwei Bereichen militärischen Standard setzen kann: in der Militärmusik und bei der Militärmedizin. Beides hat auch immer geklappt.
Und was, wenn einmal ein Ernstfall eingetreten wäre? Daran wollte keiner denken. Und die, die daran gedacht haben, haben zur Zeit des Kalten Krieges berechtigterweise davon ausgehen können, dass ein Kampf um Österreich unter den Bedingungen des dritten Weltkrieges stattfinden würde. Da hätte es tausende Gefallene und zehntausende Verwundete im neutralen Österreich gegeben. Da wären einige leicht Verwundete gerettet worden - und an das Schicksal der Übrigen wollte man lieber nicht denken.
Jetzt aber, wo österreichische Soldaten zwischen Afghanistan und dem Kosovo, dem Kongo und Sarajewo Dienst tun müssen, muss man an mögliche Verwundete denken. Da entsteht ein ganz anderes Anforderungsprofil an die militärmedizinische Versorgung. Die hat sich in Friedenszeiten darauf beschränken können, an relativ jungen, insgesamt sehr gesunden Männern jene Symptome zu behandeln, die während eines typischen Grundwehrdienstes auftreten: Viele haben aufgescheuerte Stellen, den so genannten "Wolf", weil sie Fußmärsche nicht gewohnt sind, - aber ernsthaft krank, gar "verwundet" ist keiner. Bei den jetzt politisch so forcierten Auslandseinsätzen ist das plötzlich ganz anders: Ein Soldat, der Österreich im Ausland vertreten soll und dabei Leib und Leben riskiert, hat Anspruch darauf, auch im Einsatz versorgt zu werden, wenn ihn ein Granatsplitter verwundet. Und zwar so, als ob er im Inland wäre. Darauf muss sich das Bundesheer einstellen.
Die deutsche Bundeswehr, die 33.000 Mann im Sanitätsdienst hat, acht Bundeswehr-Krankenhäuser in Deutschland und vier Feldspitäler im Ausland betreibt, hat das längst getan. Sie gilt inzwischen als "Gold-Standard" in der Wehrmedizin. Dort würden die Ärzte aber auch an Kliniken in Südafrika verschickt, um an Verbrechensopfern jene Verletzungen behandeln zu lernen, die in Europa glücklicherweise selten sind, bei Auslandseinsätzen aber auch EU-Soldaten treffen könnten.
Militärärzte müssten aber auch in anderen Bereichen umdenken, erklärt Strickner: „Wenn sie heute Gallensteine haben, wollen sie als Patient die nicht über einen großenSchnitt entlang des Rippenbogens entfernt haben, sondern endoskopisch, in der so genannten ,minimalinvasiven Chirurgie’ – die nützt ihnen nur im Feldeinsatz nichts. Da muss der Arzt offen operieren lernen. Nur: Wo bilde ich ihn dafür aus?“
Der Friedensbetrieb in den österreichischen Garnisonen könnte mit den derzeitigenKräften durchaus abgedeckt werden – aber für die politisch angestrebten Auslandseinsätze„ist bis 2012 oder 2015 eine adäquate militärmedizinische Versorgung nicht gesichert“.
Da würde es auch nicht helfen, vermehrt Ärzte aus dem Zivilberuf für das Militär heranzuziehen: „Selbst der genialste Facharzt ist nach sechsjähriger Ausbildung nicht so ausgebildet, wie wir in brauchen“, sagt Strickner.
Das Haupthindernis für die Bereitschaft von Ärzten aus der Miliz oder der Reserve, in Auslandseinsätze zu gehen, liegt aber in den fehlenden Rahmenbedingungen: „Ein Milizarzt kann seine Ordination für vier Wochen zusperren und zu einem humanitären Einsatz gehen – das ist sozial anerkannt und prestigeträchtig, da ist wenig persönliches und wirtschaftliches Risiko dabei. Wenn es aber um gefährlichere Einsätze geht, wo er drei bis sechs Monate weg ist – da sind die Patienten daheim weg, wenn die Ordinationso lange zugesperrt ist. Und dazu das Risiko bei der Begleitung eines Kampfeinsatzes: Wenn der auf eine Mine fährt und seine Beine verliert, kommt er nicht als Arzt, sondernals Sozialfall zurück, weil er aus den gängigen Versicherungen hinausfliegt, wenn er in ein Krisengebiet geht.“